Zusammenfassung
Der Kapitelaufbau orientiert sich am arbeitsmedizinischen Handlungsprozess von der Erhebung über die Bewertung von potenziell gesundheitsgefährdenden Einflussfaktoren und die entsprechenden Untersuchungen und Erhebungsmethoden bis hin zu geeigneten Präventionsmaßnahmen.
Auf diese Weise verschafft das Buch einen Einblick in das Fach und unterstützt bei der gezielten Vorbereitung auf das präventive Berufsbild Arbeitsmediziner:in. Darüber hinaus stellt es ein handliches Instrument für die betriebliche Praxis dar.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Half Title
- Titel Seite
- Impressum
- Vorwort
- Inhalt
- I Berufsbild Arbeitsmediziner
- 1 Berufsbilder: Arbeitsmediziner, Arbeitsmedizinischer Fachdienst
- 2 Relevante Institutionen und Kooperationen
- 3 Die betriebsärztliche Einrichtung
- 4 Arbeitsmedizin digital – Arbeitsmedizinische Online-Angebote und Telemedizin
- 5 Rechtliche Verantwortlichkeit des Arbeitsmediziners
- 6 Budgetierung und Kalkulation
- II Arbeitsmedizinische Basismodelle
- 1 Belastungs-Beanspruchungs-Konzept
- 2 Grenzwertkonzepte
- 3 Risikobewertung
- III Einführung in das Arbeitnehmer chutzrecht
- 1 Hierarchie der Rechtsordnung
- 2 Relevante gesetzliche Regelungen
- 3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz
- 4 Arbeitsunfälle/Berufskrankheiten
- 5 Eignungs- und Folgeuntersuchungen
- 6 Dokumentationspflichten
- 7 Grundlagen des Arbeitsrechts
- 8 Arbeitszeit/Arbeitsruhe
- IV Evaluierung von Arbeitsplätzen
- 1 Evaluierung
- 2 Arbeitsstätten
- 3 Mutterschutzgesetz
- 4 Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetz
- 5 Kennzeichnungspflichten
- 6 Unterweisung und Information
- V Arbeitsumfeld
- 1 Lärm
- 2 Stäube, Gase und Dämpfe
- 3 Klima (Hitze-/Kältearbeit)
- 4 Ionisierende und nicht ionisierende Strahlung
- 5 Licht und Beleuchtung
- VI Arbeitsmittel
- 1 Grundlagen der Ergonomie
- 2 Manuelle Handhabung von Lasten
- 3 Schwingungen
- 4 Ergonomie an spezifischen Arbeitsplätzen (Büro, Produktion, Verkauf, Fahrtätigkeit)
- 5 Ergophthalmologie
- 6 Baustellen
- 7 Spezifische Unfallgefahren (Sturz und Fall, elektrischer Strom, Brand, Explosion)
- 8 Erste-Hilfe-Organisation
- VII Arbeitsstoffe
- 1 CMR-Stoffe
- 2 Metalle
- 3 Kunststoffe
- 4 Lösemittel
- 5 Berufsdermatologie und Hautschutzplan
- 6 Umweltkrankheiten
- 7 Biologische Arbeitsstoffe
- 8 Regulatorische Toxikologie (inkl. Datenbanken, Si-Da-Blättern)
- VIII Psychische Einflussfaktoren
- 1 Identifikation psychosozialer Einflussfaktoren
- 2 Aktuelle Arbeitsorganisationsformen
- 3 Anforderungen durch Aufgaben und Tätigkeiten
- 4 Arbeitszeitorganisation (inkl. Schichtarbeit) und Pausengestaltung
- 5 Digitalisierung und ihre Auswirkungen
- 6 Auswirkungen psychischer Einflussfaktoren
- 7 Evaluierung psychischer Belastungen
- 8 Bewertung psychischer Leistungsfaktoren
- 9 Sucht und Suchtprävention
- 10 Psychopathologie/Arbeitsfähigkeit psychisch Kranker
- 11 Auslandsentsendungen
- 12 Altersgerechte Arbeitsgestaltung
- IX Betriebliche Gesundheitsförderung
- 1 Gesundheitsförderung
- 2 Personal- und Organisationsentwicklung
- 3 Burnout und Stressmanagement
- 4 Impfungen
- 5 Ernährung
- 6 Bewegungsprogramme
- X Eingliederungsmanagement (tertiäre Prävention)
- 1 Chronisch Kranke
- 2 Behinderteneinstellungsgesetz
- 3 Rehabilitation
- 4 Eingliederungsmanagement
- Abkürzungsverzeichnis
- Stichwortverzeichnis
- Autorenverzeichnis
- Rückseite
1Berufsbilder: Arbeitsmediziner, Arbeitsmedizinischer Fachdienst
Österreichische Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention (AAMP)
Die Arbeitswelt befindet sich in einem dynamischen Wandel. Automatisierung und Digitalisierung schreiten rasch voran, auch wenn „traditionelle“ Arbeitsweisen und manuelle Tätigkeiten nach wie vor weite Arbeitsbereiche bestimmen. Vor allem im Dienstleistungsbereich treten Herausforderungen wie entgrenzte Arbeit (Homeoffice, mobiles Arbeiten, virtuelle Teams), Arbeitsverdichtung oder Qualifikationsdruck in den Vordergrund.
Das Führen von Teams bei dislozierter Arbeit und zunehmende kulturelle Diversität stellen das Management von Unternehmen vor Herausforderungen, die nur mit Unterstützung und Beratung durch Experten für Fragen der Gesundheit und Leistungsfähigkeit bewältigt werden können.
Aber auch alternde Belegschaften oder die Förderung von Gesundheitskompetenz im Sinne eines salutogenen Ansatzes sind Themen, mit denen sich Arbeitsmediziner verstärkt beschäftigen.
Das Kapitel Berufsbild Arbeitsmediziner beschreibt die arbeitsmedizinische Tätigkeit im Setting Unternehmen, wobei alle Orte der Erbringung der Erwerbsarbeit inkludiert sind. Es ist kein vollständiger Tätigkeitskatalog, sondern macht die Kernkompetenzen von Arbeitsmedizinern in kompakter Weise sichtbar. Damit bietet es Berufsinteressenten einen Überblick über die beruflichen Möglichkeiten sowie bestehenden und potenziellen Kunden der Arbeitsmedizin Orientierung für die erwartbaren Dienstleistungen.
1.1.1Die Position von Arbeitsmedizinern
Arbeitsmediziner besitzen als Ärzte eine fachliche Expertise, die ihnen in Betrieben jeder Größenordnung ein Alleinstellungsmerkmal verleiht.
Arbeitsmediziner sind Berater für Unternehmen in allen Fragen der Gesundheit und Leistungsfähigkeit im Setting Arbeit. Sie schaffen damit einen Mehrwert für das Unternehmen, der sich im Erhalt, in der Förderung bzw. Wiederherstellung von Arbeits- und Leistungsfähigkeit sowie in erhöhter Motivation der Beschäftigten zeigt. Arbeitsmediziner stehen daher im Dienste aller Beteiligten im Betrieb, von ihrer Kompetenz profitieren Beschäftigte und Unternehmer.
Arbeitsmediziner bieten ein umfassendes Leistungsspektrum an ganzheitlichen Lösungsansätzen an, die über das Aufzeigen bestehender Mängel bzw. die Durchführung arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen weit hinausreichen.
Eine Ergänzung des gesetzlichen Handlungsauftrags durch Angebote der Präventionsdienstleistung kann zu einer positiven Unternehmensentwicklung beitragen. Im Fokus dieser präventivmedizinischen Dienstleistung steht die ganzheitliche Beratung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in allen präventivmedizinischen Belangen.
Optimiert wird diese Präventionsdienstleistung, wenn die Arbeitsmedizin mit Managementaufgaben zum Thema Gesundheit beauftragt wird.
Arbeitsmediziner, die als strategische betriebliche Gesundheitsmanager agieren, können ihren systemischen Ansatz in der Personal- und Organisationsentwicklung positionieren und in der Werteskala des Unternehmens implementieren. Sie koordinieren alle gesundheitsrelevanten Aktivitäten im Unternehmen, entwickeln Gesundheits- und Präventionsstrategien und unterstützen das Unternehmen bei deren Umsetzung.
1.1.2Rollen und Aufgaben von Arbeitsmedizinern
Die Struktur des Berufsbilds orientiert sich am CanMEDS Framework (s. Abb. 1). Dieses Modell beschreibt die Fähigkeiten, die Ärzte benötigen, um die Anforderungen ihrer Aufgabe bzw. ihrer Patienten/Klienten/Kunden zu erfüllen.
Die Beschreibung erfolgt anhand von unterschiedlichen Rollen, die Ärzte bei der Ausübung ihres Berufs einnehmen. Kompetente Ärzte integrieren in ihre Tätigkeit demnach die Kompetenzen aller sieben Rollen.
Die Ausprägung und Intensität der einzelnen Rollen im individuellen Umfeld jedes Experten für Arbeitsmedizin ist abhängig vom Unternehmen, seinen Strukturen und Strategien. Je nach beruflichem Handlungsfeld treten die einzelnen Rollen verschieden stark in den Vordergrund.
Die Vorteile der Anlehnung an ein Rollenmodell liegen in der Verwendung eines in europäischen Kompetenzprofilen häufig verwendeten und akzeptierten Standards und seiner Anschlussfähigkeit an andere Disziplinen, die sich ähnlicher Rollenmodelle bedienen.
Abb. 1: Rollenmodell Arbeitsmediziner, nach: Royal College of Physicians and Surgeons of Canada – CanMEDS: Better standards, better physicians, better care; http://www.royalcollege.ca/rcsite/canmeds/canmeds-framework-e, Zugriff 17.06.2020
1.1.2.2Experte für Arbeitsmedizin
Arbeitsmediziner identifizieren gesundheits- und leistungsrelevante Faktoren im betrieblichen Geschehen und bewerten diese hinsichtlich möglicher Wechselwirkungen mit der Gesundheit von Menschen. Dabei orientieren sie sich am System der Einflussfaktoren (s. Abb. 2).
Abb. 2: System der Einflussfaktoren (Österreichische Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention)
Arbeitsmediziner beurteilen mit ihrer ärztlichen Expertise, ob Intensität und Dauer der Einwirkung des jeweiligen Einflussfaktors weitere arbeitsmedizinische Handlungen erforderlich machen.
Sie entwickeln Präventionsmaßnahmen zur Gefahrenverhütung, insbesondere zur Verhinderung arbeitsbedingter Erkrankungen, und wirken bei der Umsetzung der Maßnahmen und Kontrolle der Wirksamkeit mit.
Arbeitsmediziner untersuchen die individuellen körperlichen und psycho-mentalen Voraussetzungen der von den relevanten Einflussfaktoren betroffenen Beschäftigten.
Arbeitsmediziner initiieren Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit und begleiten deren Umsetzung. Dies umfasst sowohl die kollektiven Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung als auch die individuelle Beratung in allen präventivmedizinischen Fragen.
Arbeitsmediziner begleiten den Arbeitsplatzwechsel sowie den Eingliederungsprozess gesundheitlich beeinträchtigter Personen und Menschen mit besonderen Bedürfnissen.
Als Kommunikatoren interagieren Arbeitsmediziner zielgruppenorientiert sowohl mit dem Management als auch mit Beschäftigten und Belegschaftsvertretungen.
Ihre unterschiedlichen Interaktionen ergänzen die „klassische“ Arzt-Patienten-Kommunikation und umfassen weitere Kommunikationsformen wie Präsentationen, Diskussionen, Besprechungen, Überzeugungsgespräche, Unterweisungen, aber auch das Verfassen redaktioneller Beiträge für betriebliche Kommunikations- und Informationsplattformen.
Als Teamworker kooperieren Arbeitsmediziner mit Vertretern anderer Fachdisziplinen und inner- und außerbetrieblichen Akteuren. Typische Schnittstellen sind Sicherheitsfachkräfte, Arbeitsmedizinisches Assistenzpersonal, Personen aus anderen Gesundheitsberufen (z. B. Ergo- und Physiotherapeuten, Sportwissenschafter, Ernährungsberater), Arbeitspsychologen, Personen aus der Unternehmensleitung, dem Management und dem Human-Resources-Bereich, aber auch Vertreter von Behörden (Ministerien, insbesondere Arbeitsinspektorate, oder Unfallversicherungen, insbesondere AUVA), und kurativ tätige Ärzte.
Dabei kommt ihnen eine Lotsenfunktion in allen gesundheitsrelevanten Belangen zu. In interprofessionellen Teams nutzen sie die Kompetenzen der Teammitglieder zur gemeinsamen Zielerreichung.
Als Manager steuern und entwickeln Arbeitsmediziner Prozesse mit gesundheitlicher Relevanz im Unternehmen.
Stimmen Arbeitsanforderungen und persönliche Voraussetzungen nicht überein, entwerfen Arbeitsmediziner Lösungswege. Abgestimmt auf die jeweiligen Gesprächspartner präsentieren sie einen Entwurf, der für die Entscheidungsträger als Grundlage für die gemeinsame Festlegung von Gesundheitszielen und der zur Erreichung notwendigen organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen dient. Dabei beschreiben Arbeitsmediziner die Ergebnisse ihrer Erhebungen, zeigen die angestrebten Ziele auf, begründen diese in fachlicher Hinsicht und präsentieren die Lösungsansätze.
Auf Basis der Zielvereinbarung konkretisieren Arbeitsmediziner die Maßnahmen und nehmen den Auftrag zu deren Umsetzung bzw. zur Mitwirkung bei der Umsetzung entgegen. Sie setzen die Maßnahmen situations- und zielgruppenorientiert um bzw. wirken bei der Umsetzung mit.
Arbeitsmediziner bewerten, kontrollieren und dokumentieren laufend die planmäßige Umsetzung und die Wirksamkeit der beschlossenen Maßnahmen. Bei Abweichungen schlagen sie Korrekturmaßnahmen vor.
Als Gesundheitsfürsprecher setzen sich Arbeitsmediziner für Maßnahmen zur Verhinderung von Gefahren und arbeitsbedingten Erkrankungen sowie zur Förderung bzw. Wiederherstellung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit arbeitender Menschen ein.
Sie beraten alle am Arbeitsprozess Beteiligten (Entscheidungsträger/Management, Arbeitnehmer bzw. deren Vertretungen) individuell und kollektiv in allen Fragen von Gesundheit, Sicherheit und Leistungsfähigkeit und tragen so zur Erhöhung der Gesundheitskompetenz der Beschäftigten bei.
Ihre Arbeit und die dadurch gewonnenen Erkenntnisse bilden auch die Grundlage für die sozialpolitische Dimension von Entscheidungen in Unternehmen.
1.1.2.7Lehrender und Lernender
Als Lehrende und Lernende bauen Arbeitsmediziner ihre Argumentationslinie in der Verfolgung der Gesundheitsziele im Setting Unternehmen sowie als Grundlage ihrer Entscheidungen im Handlungsprozess nachvollziehbar und wissenschaftlich belegt auf.
Sie dokumentieren und evaluieren ihre eigenen Handlungsprozesse, generieren damit evidenzbasierte Erkenntnisse und leben reflektierte Praxis im Austausch mit Kollegen.
Sie geben ihr Wissen zielgruppenorientiert weiter und fördern Kompetenz und Eigenverantwortung der Beschäftigten in Fragen der Gesundheit und Sicherheit.
Sie bringen ihre Expertise in der Entwicklung von Problemlösungsstrategien in neuen Fragestellungen der Gesundheit im Unternehmen ein. Damit fördern sie Innovation in aktuellen und zukünftigen Handlungsfeldern der Arbeitsmedizin und liefern damit auch Grundlagen für sozialpolitische Entscheidungen.
1.1.2.8Profi1
Als Profis sind sich Arbeitsmediziner stets ihrer unterschiedlichen Rollen im Unternehmen bewusst und gestalten ihre Handlungsprozesse transparent, im Einklang mit der Unternehmensphilosophie und unter Bedachtnahme auf die betrieblichen Rahmenbedingungen sowie unter Einhaltung höchster Qualitätsstandards.
Arbeitsmediziner nehmen bewusst ihre Verantwortung gegenüber dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern und zugleich gegenüber der Gesellschaft wahr. Sie verfolgen einen präventiven und salutogenen Ansatz und orientieren sich an einem humanistischen Wertesystem sowie an medizinethischen Standards.
In der Tätigkeit von Arbeitsmedizinern ist der arbeitsmedizinische Prozess als Denk- und Handlungsstruktur erkennbar (s. Abb. 3).
Abb. 3: Arbeitsmedizinischer Handlungsprozess (Österr. Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention)
Arbeitsmediziner agieren auf Basis der relevanten gesetzlichen Grundlagen. Die Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht und der Datenschutzgrundverordnung gehören ebenso zum Fundament der arbeitsmedizinischen Tätigkeit im Unternehmen wie der kontinuierliche Prozess des lifelong learning. Die Qualitätssicherung des eigenen Handelns wird durch den fachlichen Austausch mit Kollegen und eine beständige Erweiterung und Vertiefung der eigenen Kompetenzen unterstützt.
Arbeitsmediziner erbringen auf Basis ihres ärztlichen Sachverstands eine Dienstleistung in Form der Beratung von Unternehmen in allen Fragen der Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Menschen. Sie haben den gesetzlichen Auftrag, Arbeitgeber bei der Erfüllung ihrer Pflichten auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes, bei der auf die Arbeitsbedingungen bezogenen Gesundheitsförderung und bei der menschengerechten Arbeitsgestaltung zu unterstützen.
Im Vordergrund der arbeitsmedizinischen Tätigkeit steht die umfassende und multidimensionale Begleitung des Unternehmens in gesundheitlichen Belangen. Arbeitende Menschen werden durch die Minimierung gesundheitsbeeinträchtigender Einflussfaktoren geschützt sowie durch Vermittlung von Gesundheitskompetenz zu eigenverantwortlichem gesundem Verhalten motiviert und in ihren persönlichen Gesundheitsressourcen gestärkt.
Die beiden Säulen Arbeitnehmerschutz und Gesundheitsförderung/allgemeine Präventivmedizin bilden daher die Eckpfeiler des Leistungsspektrums von Arbeitsmedizinern, verbunden durch das Eingliederungsmanagement als beide Bereiche abdeckende Brücke. Diese Aufgabenbereiche werden in unterschiedlichem Ausmaß von gesetzlichen Rahmenbedingungen (Gesundheitsschutz/Minimalziele) bestimmt bzw. können darüber hinaus vom Unternehmen auf freiwilliger Basis als Dienstleistung (Gesundheits- und Leistungsförderung/Optimalziele) in Anspruch genommen werden. Abbildung 4 illustriert dies durch entsprechende Farbverläufe.
Abb. 4: Aufgabenfelder von Arbeitsmedizinern
1.2Arbeitsmedizinischer Fachdienst
Vor dem Hintergrund eines drohenden Mangels an Arbeitsmedizinern ist es wichtig, eine Berufsgruppe heranzubilden, die die Arbeitsmediziner unter Anleitung und Aufsicht entlasten kann und bestimmte Aufgaben von Arbeitsmedizinern in Delegation übernimmt. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist, dass diese Berufsgruppe einerseits über eine fundierte medizinische Basis-Ausbildung verfügt und andererseits eine auf die Aufgaben abgestimmte Ausbildung durchläuft.
Entsprechend geschulte Fachkräfte können die Arbeitsmediziner entscheidend entlasten und damit einen wichtigen Beitrag zur arbeitsmedizinischen Betreuung leisten.
Mit Inkrafttreten der Novelle zum ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) am 1.7.2022 besteht die Möglichkeit, Arbeitsmedizinische Fachdienste (AFa) in die arbeitsmedizinische Betreuung einzubeziehen und bis zu 30 % auf die arbeitsmedizinische Präventionszeit anzurechnen. Qualifikationsvoraussetzung sind eine Ausbildung in einem gehobenen Gesundheitsberuf, 2-jährige Berufspraxis sowie eine spezifische AFa-Ausbildung an einer Akademie für Arbeitsmedizin.
Dieses Kapitel beschreibt die Tätigkeiten und das Kompetenzprofil solcher AFa und bildet die Basis für den entsprechenden Ausbildungsplan.
1.2.1Tätigkeitsbereiche von Arbeitsmedizinischen Fachdiensten (AFa)
AFa unterstützen Arbeitsmediziner in der Wahrnehmung ihrer arbeitsmedizinischen Aufgaben, sie dienen nicht der Substitution ärztlicher Leistungen. Grundlage der Tätigkeiten der AFa ist die Delegation durch den verantwortlichen Arzt. Die rechtliche Verantwortung bleibt beim Arzt, daher muss dieser vor der Delegation von entsprechenden Leistungen sicherstellen, dass die AFa über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen.
AFa unterstützen Arbeitsmediziner bei der Planung, Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung ihrer Aufgaben. Sie dokumentieren die Tätigkeiten der Arbeitsmediziner, insbesondere Gefährdungsbeurteilungen, arbeitsmedizinische Untersuchungsverfahren und präventive Maßnahmen. Sie unterstützen bei der Auswertung von Dokumentationen und stellen Berichte zusammen. Sie organisieren den internen und externen Informationsfluss einschließlich Terminplanung zur Organisation und Koordination arbeitsmedizinischer Maßnahmen.
Darüber hinaus wirken AFa bei Gefährdungsbeurteilungen und arbeitsmedizinischen Untersuchungsverfahren mit bzw. führen ausgewählte delegierbare diagnostische Verfahren eigenständig durch. Sie beraten im Zusammenwirken mit dem Arbeitsmediziner alle am Arbeitsprozess Beteiligten. Weiters wirken sie im Rahmen ihrer Kompetenzen bei der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen sowie bei der Motivation der Beschäftigten zur Teilnahme an Vorsorgemaßnahmen durch aktivierende und strukturierte Kommunikation und Interaktion mit.
Die Vorgaben der ärztlichen Schweigepflicht und des Datenschutzes sind selbstverständlich auch von den AFa stets einzuhalten.
Das Qualifikationsprofil von AFa baut auf jenem von Arbeitsmedizinischen Administrations-Assistenten (AAA) auf, umfasst jedoch viele darüber hinausgehende Tätigkeitsbereiche. AFa decken die folgenden Aufgaben ab:
Bewusstseinsbildung/Kooperation
AFa unterstützen Arbeitsmediziner bei der Vermittlung der Bedeutung der Arbeitsmedizin, des Arbeitnehmerschutzes sowie der Gesundheitsförderung, indem sie den Vorgaben des Arbeitsmediziners folgend diese Inhalte aktiv kommunizieren. Insbesondere wirken sie bei der Kooperation der Arbeitsmediziner mit inner- und außerbetrieblichen Ansprechpartnern mit.
Arbeitsplatzanalysen
AFa bereiten Arbeitsplatzbegehungen vor, indem sie die erforderlichen Grundlagen aufbereiten. In Zusammenarbeit mit dem Arbeitsmediziner achten AFa auf Einflussfaktoren auf Leistung und Gesundheit der Beschäftigten in der jeweiligen Arbeitsstätte bzw. an einzelnen Arbeitsplätzen und wirken so bei der Erhebung und Beurteilung arbeitsbedingter Risiken mit. Dies erfolgt in der Regel durch persönliche Wahrnehmung der Arbeitsplatzverhältnisse bzw. Arbeitsvorgänge vor Ort sowie durch Gespräche mit anderen Fachleuten (Sicherheitsfachkräfte etc.) und den Beschäftigten. Dabei holen AFa Informationen über sämtliche relevanten Einflussfaktoren ein und ergänzen diese durch Einsichtnahme in vorhandene oder Beschaffung neuer Unterlagen. Nach Feststellung der Art der vorhandenen Einflussfaktoren analysieren AFa deren quantitative Ausprägung. Dies erfolgt auf Anweisung des Arbeitsmediziners selbstständig, auch in Zusammenarbeit mit weiteren Akteuren (Sicherheitsfachkräfte, Toxikologen, (Arbeits-) Psychologen etc.), z. B. durch Messungen physikalischer Größen, Schadstoffkonzentrationen, durch Fragebögen, standardisierte Interviews, persönliche Gespräche oder sonstige Erhebungsinstrumente. AFa dokumentieren die Ergebnisse und unterstützen die Arbeitsmediziner bei der Auswertung von Messungen. Die Bewertung der erhobenen Daten erfolgt durch den Arbeitsmediziner. AFa geben nach Rücksprache mit dem Arbeitsmediziner relevante Informationen weiter.
Arbeitsmedizinische Untersuchungen
AFa sind zuständig für die administrativen und sonstigen Vorbereitungen von arbeitsmedizinischen Untersuchungen, wie die Terminkoordination oder die Bereitstellung der benötigten Untersuchungsinstrumente, sowie für die erforderlichen Aufbereitungs- und Instandhaltungsarbeiten von Gerätschaften. Nach Feststellung der möglichen Auswirkungen der vorhandenen Einflussfaktoren auf die Beschäftigten durch den Arbeitsmediziner untersuchen AFa nach Delegation durch den Arbeitsmediziner die individuellen körperlichen und psycho-mentalen Voraussetzungen der von den jeweiligen Einflussfaktoren betroffenen Beschäftigten und liefern damit die Basis für die Ermittlung des Leistungs- bzw. Risikopotenzials durch den Arbeitsmediziner. Dazu führen AFa auf Anweisung und unter Kontrolle des Arbeitsmediziners im Rahmen ihrer Kompetenzen arbeitsmedizinische Untersuchungen (z. B. funktionsdiagnostische Untersuchungen) durch. Im Falle des Verdachts auf gesundheitliche Beeinträchtigungen initiieren AFa auf Anweisung des Arbeitsmediziners die nötigen weiteren Schritte zur Abklärung bzw. Therapie durch behandelnde Ärzte und begleiten eingeleitete Maßnahmen im Zusammenwirken mit den behandelnden Stellen. Weiters dokumentieren AFa die Untersuchungsergebnisse, leiten die ärztlich vidierten Befunde an die zuständigen Stellen weiter und bereiten ggf. Berufskrankheiten-Meldungen vor.
Arbeitsplatzgestaltungs- und Arbeitsschutzmaßnahmen
AFa wirken bei der Entwicklung und der Umsetzung geeigneter Präventionsmaßnahmen mit. Sie erstellen unter Anleitung des Arbeitsmediziners Präsentationen zur unterstützenden Argumentation von Präventionsmaßnahmen und begleiten die Umsetzung von Maßnahmen in administrativer Hinsicht. Sie beraten und motivieren Arbeitnehmer zur Befolgung von Schutzmaßnahmen und überprüfen deren nachhaltige Anwendung. AFa unterstützen Arbeitsmediziner bei der Kontrolle und Bewertung der Effektivität und Effizienz der umgesetzten Maßnahmen.
Erste-Hilfe-Maßnahmen
AFa leisten Erste Hilfe bzw. wirken bei der Organisation der Ersten Hilfe im Betrieb mit (z. B. bei der Verwaltung der Schulungen der Ersthelfer), erledigen die Dokumentation bei Arbeitsunfällen bzw. akuten Erkrankungen, die Erste-Hilfe-Maßnahmen notwendig machen, unterstützen bei statistischen Auswertungen und führen ggf. in Abstimmung mit dem Unternehmen Arbeitsunfall-Meldungen durch.
Gesundheitsförderung/-beratung
AFa unterstützen Arbeitsmediziner bei der Entwicklung und inhaltlichen Umsetzung von Projekten der Betrieblichen Gesundheitsförderung und kommunizieren deren Bedeutung. AFa erheben Bedarf und externe Angebote und begleiten Projekte der betrieblichen Gesundheitsförderung in administrativer Hinsicht.
Qualitätsmanagement
AFa wirken am Management der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität mit. Sie führen laufend Qualitätskontrollen im Zuständigkeitsbereich durch und überwachen die Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen (Medizinproduktegesetz etc.).
Administration
AFa unterstützen die Arbeitsmediziner in sämtlichen administrativen Belangen. Neben der Eingabe und Wartung der Mitarbeiterdaten sind das insbesondere die Bereiche Budgetierung sowie Bestell- und Rechnungswesen. Weiters unterstützen AFa die Arbeitsmediziner beim Schriftverkehr mit allen inner- und außerbetrieblichen Adressaten sowie bei inhaltlichen Recherchen und stellen Berichte, einschließlich der Tätigkeitsberichte für den eigenen Bereich, zusammen.
1Dieses Kapitel beschreibt das professionelle Selbstverständnis, mit dem Arbeitsmediziner die unter 1.1.2.2 beschriebenen inhaltlichen Aufgaben als Experten für Arbeitsmedizin erfüllen.
2Relevante Institutionen und Kooperationen
Stefan Koth & Susanne Schunder-Tatzber
Die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen inner- und außerbetrieblichen Ansprechpartnern ist für Arbeitsmediziner im Rahmen ihrer Tätigkeit unumgänglich. Die unterschiedlichen Kooperationsmöglichkeiten und -formen sind vom jeweiligen Betrieb und den agierenden Personen abhängig.
Die wesentlichsten Schnittstellen ergeben sich in beinahe jedem Betrieb aus folgenden Funktionsträgern bzw. Institutionen:
Innerbetrieblich:
Arbeitgeber (Geschäftsleitung, Personalmanagement)
Arbeitnehmer und ihre Vertretung (Betriebsrat/Sicherheitsvertrauenspersonen)
Sicherheitsfachkräfte
Arbeitsmedizinische Assistenten
Arbeitsschutzausschuss
Außerbetrieblich
Arbeitsinspektion
Allgemeine Unfallversicherungsanstalt
Zusätzlich zu den von ihnen selbst durchgeführten Aufgaben besitzen Arbeitsmediziner darüber hinaus auch eine Koordinationsfunktion und Führungsrolle. Darin sind sie gefordert, richtig einzuschätzen, in welchen Situationen Experten anderer Fachrichtungen (z. B. Psychologen, Ernährungswissenschaftler, Bewegungstrainer etc.) hinzuzuziehen sind, bzw. auch solche vorzuschlagen.
2.2Innerbetriebliche Ansprechpartner
Vor Aufnahme der arbeitsmedizinischen Tätigkeit führt der Arbeitsmediziner mit seinen Partnern im Betrieb Gespräche über seine Aufgaben und deren Umsetzung. Erster Gesprächspartner wird immer der Arbeitgeber (Vorstand, Direktor) oder einer seiner Vertreter (Betriebs-, Personal-, Organisationsleiter) sein. Die gleichen Themen werden mit dem Betriebsrat erörtert. Der Betriebsrat muss zur Bestellung eines angestellten Arbeitsmediziners seine Zustimmung geben bzw. vor Verpflichtung eines freiberuflich tätigen Arztes gehört werden.
Arbeitgeber (AG) sind gemäß ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch, § 1157) und ASchG (ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, § 3ff.) verantwortlich für den Arbeitsschutz und die Arbeitssicherheit im Betrieb. Da die AG die nötige Fachkompetenz in der Regel selbst nicht besitzen, schreibt der Gesetzgeber die verpflichtende Bestellung von Präventivfachkräften (= Arbeitsmediziner, Sicherheitsfachkräfte) zur Beratung in Fragen der Sicherheit und Gesundheit im Betrieb vor (§§ 73ff. und 79ff. ASchG).
Liegt Handlungsbedarf für präventive Maßnahmen zum besseren Schutz von Gesundheit und Sicherheit vor, bestehen häufig unterschiedliche Möglichkeiten und Ansätze, die von einem unbedingt nötigen Minimum bis hin zu optimalen Präventionsmaßnahmen reichen. Hier liegt es im Argumentations- und Verhandlungsgeschick des Arbeitsmediziners, den AG von der Notwendigkeit von Maßnahmen zu überzeugen, die aus präventivmedizinischer Sicht und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens die idealen sind.
Das ausschließliche Berufen auf die gesetzliche Notwendigkeit wird sich dabei à la longue als weniger zielführend erweisen als eine professionelle Beratungsleistung, die sich nicht im Aufzeigen von Problemen erschöpft, sondern auch Lösungen anbietet. Nur in diesem Fall wird der AG die Arbeitsmedizin als wertvolle Dienstleistung wahrnehmen, die dem Unternehmen Nutzen bringt.
2.2.2Arbeitnehmer/Betriebsrat/ Sicherheitsvertrauenspersonen (SVP)
Auch wenn die Aussage „Der Patient des Arbeitsmediziners ist der Arbeitsplatz“ eine gewisse (Teil-)Berechtigung besitzt, darf darüber nicht vergessen werden, dass die Menschen im Unternehmen im Zentrum der arbeitsmedizinischen Tätigkeit stehen. Die Erhaltung von Gesundheit und Sicherheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit steht daher im Fokus aller ärztlichen Bemühungen.
Die Gesprächsbasis mit und das Vertrauensverhältnis zu den Mitarbeitern ist ein wesentlicher Faktor für den Erfolg jedes arbeitsmedizinischen Handelns. Die Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht ist daher unbedingt einzuhalten. Lediglich in Ausnahmefällen, in denen es im Interesse des Betroffenen liegt, wenn bestimmte Informationen weitergegeben werden, kann mit diesem eine Entbindung von der Schweigepflicht besprochen und eine solche eingeholt werden, nie jedoch ohne seine (nach Möglichkeit schriftliche) Einwilligung.
Arbeitsmediziner stehen vor der Herausforderung, arbeitsmedizinisch relevante Themen dem Arbeitgeber bzw. dem Betriebsrat immer so allgemein gefasst zu vermitteln, dass die ärztliche Schweigepflicht nicht verletzt wird (z. B. „Bei Begehung der Arbeitsstätte x hat sich herausgestellt, dass Mitarbeiter keine ergonomischen Hebehilfen haben, woraus Rückenprobleme und Fehlzeiten erwachsen können.“).
Der Betriebsrat (BR) ist das Interessenvertretungsorgan der Arbeitnehmer auf Betriebsebene. Er verfügt über zahlreiche Befugnisse. Diese reichen etwa vom Abschluss von Betriebsvereinbarungen über die Mitwirkung bei Kündigungen, Entlassungen und Versetzungen bis hin zur Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen in Unternehmen. Gemäß Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG, § 92a) hat der BR Beteiligungsrechte u. a. bei der Gefahrenermittlung und -beurteilung, der Festlegung von Maßnahmen der Planung und Organisation der Unterweisung sowie Anhörungs- und Beratungsrechte bei Planung und Einführung neuer Technologien. Weiters sind Arbeitgeber verpflichtet, mit dem Betriebsrat über die beabsichtigte Bestellung oder Abberufung von Arbeitsmedizinern, Sicherheitsfachkräften (SFK), Ersthelfern und Brandschutzbeauftragten zu beraten. Schließlich hat der BR ein Informationsrecht über Messungen, Arbeitsstoffe und Grenzwertüberschreitungen. Ihm muss Zugang zu (allen) nicht auf Einzelpersonen bezogenen Unterlagen und Dokumenten in Verbindung mit dem Arbeitnehmerschutz gewährt werden.
Ab einer Betriebsgröße von 11 Beschäftigten ist eine Sicherheitsvertrauenspersonen (SVP) zu bestellen (§ 10f. ASchG). Die Anzahl steigt mit wachsender Zahl der Beschäftigten (z. B. 10 SVP ab 3.000 Arbeitnehmern).
SVP sind Arbeitnehmervertreter mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Sie sollen die Arbeitnehmer informieren, beraten und unterstützen, sie in Abstimmung mit dem BR in Sicherheits- und Gesundheitsfragen vertreten, mit Arbeitsmedizinern und SFK zusammenarbeiten und den Arbeitgeber beraten. Sie haben das Recht auf Zugang zu allen für den Arbeitnehmerschutz relevanten Unterlagen, wie Messergebnissen oder Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumenten.
Der BR hat das Recht, seine Befugnisse in Fragen der Sicherheit und Gesundheit an die SVP zu übertragen. Ist in einem Betrieb kein Betriebsrat eingerichtet, fallen die oben erwähnten Aufgaben automatisch der SVP zu.
2.2.3Arbeitsmedizinische Assistenten
Unternehmen sind nicht nur verpflichtet, Präventivdienste zu bestellen, sondern auch das für die arbeitsmedizinische Betreuung notwendige Fach- und Hilfspersonal zu beschäftigen (§ 79 (4) ASchG). Auch in Arbeitsmedizinischen Zentren muss das erforderliche Fach- und Hilfspersonal vorhanden sein (§ 80 (1) ASchG).
Arbeitsmedizinische Assistenten unterstützen Arbeitsmediziner – je nach Qualifikation (Arbeitsmedizinischer Administrations-Assistent bzw. Arbeitsmedizinischer Fachdienst) – in der Wahrnehmung ihrer arbeitsmedizinischen Aufgaben in administrativer und operativer Hinsicht. Grundlage der Tätigkeiten der Arbeitsmedizinischen Administrations-Assistenten (3A) bzw. des Arbeitsmedizinischen Fachdienstes (AFa) ist die Delegation durch den verantwortlichen Arbeitsmediziner. Die rechtliche Verantwortung bleibt beim Arzt, daher muss dieser vor der Delegation von entsprechenden Leistungen sicherstellen, dass die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten der 3A bzw. AFa vorliegen. Die Tätigkeiten von Assistenten dienen somit nicht der Substitution ärztlicher Leistungen. Die Vorgaben der ärztlichen Schweigepflicht und des Datenschutzes sind selbstverständlich auch von 3A und AFa stets einzuhalten.
3A bzw. AFa unterstützen Arbeitsmediziner bei der Planung, Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung ihrer Aufgaben. Sie dokumentieren die Tätigkeiten der Arbeitsmediziner, insbesondere die Ergebnisse von Gefährdungsbeurteilungen, arbeitsmedizinischen Untersuchungen und präventiven Maßnahmen. Sie unterstützen bei der Auswertung von Dokumentationen und stellen Berichte zusammen. Sie organisieren den internen und externen Informationsfluss einschließlich Terminplanung zur Organisation und Koordination arbeitsmedizinischer Maßnahmen.
AFa wirken darüber hinaus bei Gefährdungsbeurteilungen und arbeitsmedizinischen Untersuchungsverfahren mit bzw. führen ausgewählte delegierbare diagnostische Verfahren eigenständig durch. Sie beraten im Zusammenwirken mit dem Arbeitsmediziner alle am Arbeitsprozess Beteiligten. Weiters wirken sie im Rahmen ihrer Kompetenzen bei der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen sowie durch aktivierende und strukturierte Kommunikation und Interaktion bei der Motivation der Beschäftigten zur Teilnahme an Vorsorgemaßnahmen mit. Für Details s. Kapitel I.1.2 „Arbeitsmedizinischer Fachdienst“.
In Arbeitsstätten mit mehr als 100 Beschäftigten bzw. in Bürobetrieben mit mehr als 250 Beschäftigten ist ein Arbeitsschutzausschuss einzurichten. Er besteht in der Regel aus Arbeitgeber, Arbeitsmediziner, SFK und BR/SVP. Seine Aufgabe besteht in der gegenseitigen Information, im Erfahrungsaustausch und in der Koordination der betrieblichen Arbeitsschutzeinrichtungen, der Analyse von Berichten und der Diskussion von Vorschlägen der Arbeitsmediziner, SFK und Belegschaftsvertretung. Der Arbeitsschutzausschuss wird einmal pro Kalenderjahr bzw. ggf. anlassbezogen einberufen.
2.3Außerbetriebliche Ansprechpartner
Die Arbeitsinspektion (AI) hat auf Basis des Arbeitsinspektionsgesetzes (ArbIG) den gesetzlichen Schutz der Arbeitnehmer bei ihrer beruflichen Tätigkeit wahrzunehmen und sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber zu unterstützen und zu beraten.
Die Zuständigkeit der AI erstreckt sich grundsätzlich auf Betriebe aller Art mit einigen wenigen Ausnahmen (land- und forstwirtschaftliche Betriebe, Verkehrsbetriebe, Behörden, Ämter und sonstige Verwaltungsstellen, öffentliche Schulen).
Unterstützung und Beratung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern (z. B. bei der Auswahl von Arbeitsstoffen),
Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer (z. B. die entsprechende Bestellung von Arbeitsmedizinern und das Zur-Verfügung-Stellen der dafür notwendigen Räume, Ausstattung und Mittel),
Förderung und Weiterentwicklung des Arbeitnehmerschutzes,
Erstellung von verbindlichen Regeln unter Einbeziehung neuer Entwicklungen auf technischem Gebiet und des jeweiligen Erkenntnisstandes der Wissenschaften.
Arbeitsinspektoren sind berechtigt:
Betriebe jederzeit angekündigt oder unangemeldet zu betreten und zu besichtigen, um Überprüfungen und Beratungen durchzuführen. Dabei haben sie die Arbeitgeber über ihre Anwesenheit zu informieren und Betriebsrat, Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmediziner beizuziehen.
Proben von Arbeitsstoffen zu entnehmen und Messungen durchzuführen,
Sachverständige beizuziehen,
Rezepturen von Arbeitsstoffen bei den Erzeugern oder Vertreibern anzufordern,
Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu vernehmen, auch ohne Gegenwart von dritten Personen,
in alle Unterlagen (z. B. Pläne, Einzelverträge, Urlaubslisten) Einsicht zu nehmen,
schriftliche Aufforderungen an die Arbeitgeber zu erteilen, die festgestellten Mängel zu beheben, wovon Ablichtungen an die Arbeitnehmervertretung und die innerbetrieblichen Arbeitnehmerschutzexperten (Arbeitsmediziner und Sicherheitsfachkräfte) ergehen,
Strafanzeige an die Verwaltungsbehörde zu erstatten, wenn der Aufforderung nicht entsprochen wird,
bei unmittelbar drohender Gefahr für Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer (z. B. bei Gefahr einer akuten Vergiftung oder bei Explosionsgefahr) die Sperre von Betrieben oder Betriebsteilen anzuordnen.
Die Betriebsbesichtigungen zur Überprüfung und Beratung erfolgen
meistens von Amts wegen (die AI wird von sich aus tätig) oder
aufgrund von Beschwerden oder
auf Ersuchen von Arbeitgebern (z. B. bei Einführung eines neuen Arbeitsverfahrens).
Anfragen und Beschwerden können jederzeit (schriftlich, persönlich, telefonisch) bei der AI eingebracht werden. Den Einbringenden steht es frei, den eigenen Namen oder den Namen des Betriebes zu verschweigen. Die AI ist verpflichtet, die Quelle jeder Beschwerde unbedingt vertraulich zu behandeln, sie darf niemandem gegenüber auch nur andeuten, dass die Betriebsbesichtigung durch eine Beschwerde veranlasst wurde.
2.3.1.3Organisatorischer Aufbau
Die AI ist ein Teil des Bundesministeriums für Soziales. Sie besteht aus der Sektion Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat und den regionalen Arbeitsinspektoraten. Die regionalen Arbeitsinspektorate sind in 19 Aufsichtsbezirke sowie ein besonderes Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten in Wien aufgeteilt.
2.3.1.4Aufgaben von AI-Ärzten/Schnittstellen mit Arbeitsmedizinern
Zu den Aufgaben der AI-Ärzte zählen insbesondere:
Betriebsbesichtigungen
Zu jeder Betriebsbesichtigung werden die Arbeitsmediziner, die Sicherheitsfachkräfte und der Betriebsrat beigezogen. Im Rahmen dieser Begehungen werden nach Wunsch oder bei Bedarf Gespräche ohne Gegenwart von Dritten geführt (z. B. über Bewertung von Untersuchungsergebnissen) und selbstverständlich können bei dieser Gelegenheit auch Fragen an die AI-Ärzte gestellt und Informationen eingeholt werden.
Zusammenarbeit
mit Arbeitsmedizinen, Sicherheitsfachkräften und der Arbeitnehmervertretung in den Betrieben sowie mit Fachleuten anderer medizinischer Fachrichtungen (z. B. Dermatologie, Pulmologie) und Fachleuten im Bereich Chemie, Technik etc.
Information, Beratung und Erfahrungsaustausch
Die AI-Ärzte stehen Arbeitsmedizinern generell für Information und Beratung sowie Erfahrungsaustausch zur Verfügung. Sie können sowohl telefonisch als auch schriftlich oder persönlich kontaktiert werden.
Rezepturen von Arbeitsstoffen
Die AI-Ärzte holen die Rezepturen der in den Betrieben vorgefundenen Arbeitsstoffe bei den Herstellern und Vertreibern ein. Auf Anfrage erteilen die AI-Ärzte den Arbeitsmedizinern Auskünfte über vorliegende Rezepturen von Arbeitsstoffen (z. B. Lacke, Kleber, Lösungsmittel). Dabei muss es sich jedoch um einen Arbeitsstoff handeln, der im vom Arbeitsmediziner betreuten Betrieb verwendet wird. Die Auskünfte beinhalten nur die für den konkreten Betrieb wesentlichen Inhaltsstoffe, da die Gesamtrezeptur der Geheimhaltung unterliegt.
Probenahmen und Messungen
Die Messungen von Einwirkungen am Arbeitsplatz (z. B. Lärm, Arbeitsstoffe) werden teils vom AI durchgeführt, teils werden Sachverständige dafür beigezogen (z. B. AUVA, Österreichische Staubbekämpfungsstelle – ÖSBS).
Gesundheitsüberwachung
Eignungs- und Folgeuntersuchungen gemäß ArbeitnehmerInnenschutzgesetz
Beurteilung, an welchen Arbeitsplätzen diese Untersuchungen erforderlich sind
Überprüfung der Einhaltung der Untersuchungszeiträume in den Betrieben
Überprüfung aller Befunde, die von den ermächtigten Ärzten übermittelt wurden. In vielen Fällen wird Rücksprache mit den untersuchenden Ärzten bzw. mit den Arbeitsmedizinern des jeweiligen Betriebes gehalten.
In jenen wenigen Fällen, in denen aus arbeitsmedizinischer Sicht eine „Nichteignung“ von Arbeitnehmern vorliegt, werden die konkreten Arbeitsbedingungen im Betrieb erhoben, es wird beurteilt, ob weitergehende Schutzmaßnahmen vorzusehen sind, Beratungen über zielführende Maßnahmen werden durchgeführt und gegebenenfalls dem Betrieb die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter den belastenden Arbeitsbedingungen mit Bescheid untersagt.
Oftmals ist im Zusammenhang mit den ärztlichen Untersuchungen gemäß § 49 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (Eignungs- und Folgeuntersuchungen) gegenseitige Kontaktaufnahme hilfreich oder erforderlich. In Zweifelsfällen klären die AI-Ärzte, bei welchen konkreten Tätigkeiten und Arbeitsplätzen diese Untersuchungen erforderlich sind. Die Ansuchen um Ermächtigung zur Durchführung dieser Untersuchungen sind bei der AI zu stellen. Befund und Beurteilung der Ergebnisse der Untersuchungen sind von den ermächtigten Arbeitsmedizinern an die AI-Ärzte zu übermitteln, die wiederum Rücksprache mit den untersuchenden Ärzten bzw. mit den Arbeitsmedizinern des jeweiligen Betriebes halten (z. B. bei unklaren Befunden, zur Abschätzung der konkreten Belastung, bei von den Untersuchungsrichtlinien abweichender Durchführung).
Berufskrankheitenanzeigen und -verfahren
Die Berufskrankheitenanzeigen und die fachärztlichen Gutachten, die im Rahmen des Begutachtungsverfahrens erstellt werden, werden von der AUVA an die zuständigen AI-Ärzte übermittelt. Anhand dieser Unterlagen und der Kenntnis der konkreten Arbeitsbedingungen wird das Ausmaß der Gefährdung eingeschätzt und beurteilt, ob weitergehende Schutzmaßnahmen vorzusehen sind und ob die betroffenen Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz verbleiben können oder die Weiterbeschäftigung unter den dort bestehenden Einwirkungen auf die Gesundheit untersagt werden muss.
Freistellungszeugnisse gem. Mutterschutzgesetz
Wenn bei Fortdauer jedweder Beschäftigung Leben oder Gesundheit von werdender Mutter oder Kind gefährdet wäre, kann die werdende Mutter ein Freistellungszeugnis beantragen, entweder bei dem für den Betrieb zuständigen AI-Arzt, bei dem für den Wohnort zuständigen Amtsarzt oder – bei Vorliegen bestimmter Indikationen gemäß § 2 Mutterschutzverordnung – einem Facharzt für Frauenheilkunde oder Innere Medizin. Die AI-Ärzte entscheiden aufgrund eines eingehenden Gesprächs mit der Graviden, ihrer Anamnese und des fachärztlichen Befundes, ob die Indikation für eine Freistellung gegeben ist, und stellen das Zeugnis aus.
2.3.2Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA)
Die Unfallversicherung ist ein Zweig der österreichischen Sozialversicherung. Die Sozialversicherung wird in Form der Selbstverwaltung geführt. D. h., der Staat verzichtet für einen bestimmten Bereich der Verwaltung auf die Führung durch staatliche Behörden und überträgt diese Aufgabe Selbstverwaltungskörpern, die aus Vertretern der Versicherten und deren Dienstgebern gebildet werden.
Die Leistungen der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) umfassen Prävention, Unfallheilbehandlung, Rehabilitation und Entschädigung. Die Finanzierung erfolgt über Dienstgeberbeiträge. Nicht nur Arbeitnehmer sind im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit unfallversichert, sondern auch Schüler und Studenten im Rahmen ihrer Ausbildung, und zwar beitragsfrei.
Die AUVA ist dezentral aufgebaut: eine Hauptstelle (Wien), vier Landesstellen (Wien, Graz, Linz und Salzburg) und drei Außenstellen (Klagenfurt, Innsbruck und Dornbirn).
Die Unfallversicherung trifft Vorsorge für
Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten (Details s. Kapitel III.4 „Arbeitsunfälle/Berufskrankheiten“)
Erste Hilfe bei Arbeitsunfällen
Unfallheilbehandlung
Die Versicherungsträger sind berechtigt, Unfallkrankenhäuser, Unfallstationen, Sonder-krankenanstalten zur Untersuchung und Behandlung von Berufskrankheiten, Krankenanstalten, die vorwiegend der Rehabilitation dienen, sowie Einrichtungen für berufliche Rehabilitation zu errichten, zu erwerben und zu betreiben.
Die Unfallheilbehandlung hat mit allen geeigneten Mitteln zu erfolgen und die durch den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit hervorgerufene Gesundheitsstörung oder Beschädigung, Minderung der Erwerbsfähigkeit, Minderung der Fähigkeit zur Besorgung der lebenswichtigen persönlichen Angelegenheiten zu beseitigen oder zumindest zu bessern und eine Verschlimmerung der Folgen der Verletzung oder Erkrankung zu verhüten. Ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe, Anstaltspflege und Operationen sind in den Einrichtungen der AUVA für jedes Opfer eines Arbeitsunfalls kostenlos.
Rehabilitation von Versehrten
Unter Rehabilitation versteht man die Wiederherstellung der physischen, geistigen, seelischen, beruflichen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit behinderter Menschen durch aufeinander abgestimmte Maßnahmen. Sie umfasst:
medizinische Rehabilitation (Unfallheilbehandlung)
berufliche Rehabilitation
soziale Rehabilitation
Entschädigung nach Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten
Forschung nach wirksamsten Methoden und Mitteln zur Erfüllung dieser Aufgaben
Entgeltfortzahlung nach Unfällen und Krankheiten für Kleinbetriebe
Sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung von Kleinbetrieben
Arbeitspsychologische Beratung
Vorsorge für Erste-Hilfe-Leistung
2.3.2.2Schnittstellen mit Arbeitsmedizinern
Meldung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten
Der begründete Verdacht auf Bestehen einer Berufskrankheit ist meldepflichtig. Die Meldepflicht an den Unfallversicherungsträger trifft den Arbeitgeber, aber auch jeden Arzt (nicht nur Arbeitsmediziner! § 363 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz). Der dafür notwendige Vordruck „Ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit“ ist (auch online) bei den Unfallversicherungen erhältlich. Die Beurteilung und Entscheidung, ob es sich bei einer gemeldeten Erkrankung um eine Berufskrankheit handelt, erfolgt im Rahmen eines Gutachtens.
Auch jeder Arbeitsunfall, bei dem eine unfallversicherte Person getötet oder so verletzt wurde, dass sie mehr als drei Tage völlig oder teilweise arbeitsunfähig geworden ist, muss innerhalb von fünf Tagen dem zuständigen Träger der Unfallversicherung gemeldet werden.
Kostenübernahme für Eignungs- und Folgeuntersuchungen
Die AUVA leistet einen Kostenersatz für Eignungs- und Folgeuntersuchungen. Dabei ist zu beachten, dass die Durchführung einer Eignungs- bzw. Folgeuntersuchung nur dann gerechtfertigt ist, wenn eine Belastung derartig einwirkt, dass die Gefahr einer Berufskrankheit droht und die Untersuchung eine prophylaktische Bedeutung hat (§ 49 ASchG, § 6a VGÜ – Verordnung Gesundheitsüberwachung am Arbeitsplatz). Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, sind sie im Zuge der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren (Arbeitsplatzevaluierung) festzustellen und nachvollziehbar zu dokumentieren. Andernfalls ist keine Untersuchung durchzuführen. Die AUVA behält sich vor, für nicht erforderliche oder nicht gerechtfertigte Untersuchungen keinen Kostenersatz zu leisten.
Literatur
Huber E./Fiedler S. (2016): Arbeitsinspektion. Skriptum Ausbildung Arbeitsmedizin. Klosterneuburg: Österreichische Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention.
Schenk C. (2016): Allgemeine Unfallversicherungsanstalt. Skriptum Ausbildung Arbeitsmedizin. Klosterneuburg: Österreichische Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention.
Schunder-Tatzber S./Bayer S. (2014): Kooperationen. Skriptum Ausbildung Arbeitsmedizin. Klosterneuburg: Österreichische Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention.
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG)
Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG)
3Die betriebsärztliche Einrichtung
Susanne Schunder-Tatzber & Stefan Koth
Für die Ausübung der arbeitsmedizinischen Tätigkeit im Betrieb bedarf es der nötigen materiellen und räumlichen Ausstattung. Dabei ist zwischen gesetzlichen Vorgaben und Wunschvorstellungen zu unterscheiden.
Gesetzliche Grundlagen
ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (§ 79 (6) ASchG):
Arbeitgeber sind verpflichtet, die für die arbeitsmedizinische Betreuung notwendigen Räume, Ausstattung und Mittel zur Verfügung zu stellen.
Arbeitsstättenverordnung (§ 41 AStV):
In „Normbetrieben“, in denen keine erhöhte Betriebsgefahr besteht und mehr als 250 Mitarbeiter beschäftigt werden, ist ein Sanitätsraum einzurichten.
Werden mindestens 100 Mitarbeiter beschäftigt und liegt eine besondere Betriebsgefahr vor, ist ebenfalls ein Sanitätsraum bereitzustellen. Prinzipiell hat der Arbeitgeber die „besondere Betriebsgefahr“ zu definieren. Ist ihm dies nicht möglich, geht diese Aufgabe an die Arbeitsinspektion über.
Die Räumlichkeiten sollen gut erreichbar und als Sanitätsräume gekennzeichnet sein. Sie sind so zu gestalten, dass bei Unfällen oder plötzlichen Erkrankungen Erste Hilfe geleistet und eine ärztliche Erstversorgung durchgeführt werden kann. Sie müssen außerdem so gelegen sein, dass sie mit einer Trage leicht erreicht werden können (für weitere Kriterien
s. § 41 AStV).
Darüber hinaus sollten sich Größe und Anzahl der Räumlichkeiten u. a. an folgenden Kriterien orientieren:
Größe des Betriebes (Anzahl der Mitarbeiter)
„Gefährlichkeit“ des Betriebes (z. B. hohe Verletzungsgefahr)
Aufgabenkatalog des Arbeitsmediziners
medizintechnische Ausrüstung
Strategien des Arbeitgebers
Generell ist darauf zu achten, dass die entsprechende Räumlichkeit vertrauliche Gespräche mit dem Arzt ermöglicht.
In kleinen Betrieben wird sich manchmal kein eigener, fixer Sanitätsraum finden oder einrichten lassen – in diesem Fall kann auf Ruheräume für Schwangere lt. Mutterschutzgesetz, Besprechungsräume usw. zurückgegriffen werden, die zumindest teilweise adaptiert und ausgestattet sind. An diesen Räumen sind Hinweise, wann die nächste betriebsärztliche Beratung/Ordination stattfinden wird, anzubringen.
Aus dem ASchG ergibt sich, dass Räumlichkeiten mit entsprechender Ausstattung und geeigneten Mitteln zu versehen sind.
Bei Beauftragung eines Arbeitsmedizinischen Zentrums entfällt für den Betrieb die Verpflichtung zur Bereitstellung von Ausstattung und Mitteln. Diese entfällt auch, wenn ein externer Arbeitsmediziner beschäftigt wird, der nachweislich die notwendige Ausstattung und Mittel zur Verfügung stellt (§ 79 (7) ASchG). Ein geeigneter Raum mit Hinweis auf die Anwesenheit ist aber auch in diesen Fällen bereitzustellen.
Die Mindestausstattung besteht aus Telefon, Liege und Waschgelegenheit mit fließendem Kalt- und Warmwasser (für die Ausstattung von Arbeitsmedizinischen Zentren gelten weitreichendere Regelungen – s. Verordnung über Arbeitsmedizinische Zentren (AMZ-VO)). Die Waschgelegenheit könnte auch in einem sehr nahen Sanitärraum gelegen sein.
Nicht im Gesetz angeführt, aber trotzdem ein Muss ist ein Nirosta-Abfalleimer. Darüber hinaus werden Büromöbel benötigt, inklusive eines verschließbaren, feuersicheren Karteikastens, sofern keine EDV verwendet wird. Bei der EDV muss sichergestellt sein, dass nur das medizinische Personal Zugang zu den Daten hat.
Die Auswahl der Ausstattung und Mittel ist prinzipiell abhängig von:
Größe und Branche des Betriebs
spezifischem Gefahrenpotenzial, z. B. hohe Gefahr von Verbrennungen (nicht klebendes Verbandsmaterial) oder massive Gefährdung durch Starkstrom (EKG, Defibrillator)
arbeitsmedizinischem Untersuchungsumfang (Einstellungsuntersuchungen, Untersuchungen nach §§ 49, 50, 51 ASchG)
Vorsorgeuntersuchungen und deren Umfang (z. B. Reiseuntersuchungen, Lehrlingsuntersuchungen etc.)
Folgende Ausstattung ist über die gesetzliche Anforderung hinaus wünschenswert:
Personenwaage
Körpergrößenmessgerät
Sehtafel
verschließbarer Arzneimittelschrank
Akku-Sicherheitsleuchte
Infusionsständer oder -haken
Kühlschrank – versperrbar (für Impfstoffe usw.)
Von der Präventionszeit wird auch abhängen, ob
Blutdruckmessgerät
Stethoskop
Otoskop
Nasenspekulum
Notfallkoffer
Notfallmedikamente
ständig vor Ort vorhanden sind oder jeweils mit in den Betrieb gebracht werden.
Literatur
AMZ-VO – BGBl. Nr. 441/1996, zul. geändert durch BGBl. II Nr. 210/2013.
ASchG – BGBl. Nr. 450/1994, zul. geändert durch BGBl. I Nr. 126/2017.
AStV – BGBl. II Nr. 368/1998, zul. geändert durch BGBl. II Nr. 324/2014.
4Arbeitsmedizindigital – Arbeitsmedizinische Online-Angebote und Telemedizin und Telemedizin
Stephan Letzel
Die arbeitsmedizinische Tätigkeit erfolgt in der Regel im Betrieb vor Ort oder in den Räumlichkeiten eines Arbeitsmedizinischen Zentrums. Grundvoraussetzung der arbeitsmedizinischen Tätigkeit ist der persönliche Kontakt mit dem Beschäftigten bzw. Arbeitgeber sowie die Kenntnis des entsprechenden Arbeitsplatzes. Dies ist nötig, um eine individuelle, zielgerichtete Beratung im Rahmen der rechtlichen Vorgaben leisten zu können.
Während in anderen medizinischen Fachgebieten wie beispielsweise der Dermatologie, Radiologie oder der Luft- und Raumfahrtmedizin medizinische Online-Angebote wie Videosprechstunden, Telekonsile oder Online-Befundungen seit Längerem erfolgreich etabliert sind, war dies vor der Corona-Pandemie im Bereich der Arbeitsmedizin ein Novum und für viele undenkbar. Die Situation der letzten Jahre, mit z. T. erheblichen pandemiebedingten Einschränkungen, haben in der Arbeitsmedizin zu einem Umdenken geführt, die Möglichkeiten von arbeitsmedizinischen Online-Betreuungsangeboten werden zunehmend positiv bewertet.
Insbesondere aus arbeitsmedizinischer Sicht sind u. a. folgende digitalen Angebote im Bereich des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz denkbar und sinnvoll:
Telemedizin
Digitale Arbeitsplatzevaluierung bzw. Gefährdungsbeurteilung
Digitale Unterweisung
Unter Telemedizin versteht man die Beratung, Diagnostik und Therapie unter Überbrückung zeitlicher und/oder räumlicher Distanzen im Gesundheitswesen. In der Arbeitsmedizin sind vor allem folgende telemedizinischen Konstellationen sinnvoll:
Arzt – Beschäftigter:
Beispielsweise als Videosprechstunde im Rahmen von Eignungs- und Folgeuntersuchungen sowie weiterer individueller arbeitsmedizinischer Beratungen
Arzt – Arzt:
Ein ärztliches Konsil, beispielsweise zur kollegialen Abklärung einer speziellen (arbeits-) medizinischen Fragestellung
Arzt – arbeitsmedizinisches Assistenzpersonal:
Beispielsweise zur Anleitung und/oder Befundbesprechung bei ausgewählten delegierbaren diagnostischen Verfahren
Arzt – Rehabilitationseinrichtung:
Beispielsweise zur Besprechung rehabilitationsrelevanter arbeitsmedizinischer Sachverhalte
Arzt – Arbeitgeber – ggf. zusätzlich Beschäftigter:
Beispielsweise als Beratungsgespräch zu speziellen Sachverhalten, die den Arbeitsschutz betreffen (z. B. Mutterschutz, betriebliche Wiedereingliederung)
Arzt – Fachkraft für Arbeitssicherheit:
Beispielsweise zum Austausch zu Fragen der Arbeitsumgebung, Messwerten oder auch im Rahmen der Evaluierung bzw. Gefährdungsbeurteilung
In der Arbeitsmedizin kann die Telemedizin ein zusätzliches niederschwelliges Betreuungsangebot u. a. von Beschäftigten und Arbeitgebern darstellen. Hierdurch können z. T. ressourcensparend längere Wegezeiten – sowohl von Ärzten in die Betriebe, als auch von Beschäftigten in die Arbeitsmedizinischen Zentren – vermieden bzw. reduziert werden. Zudem ist durch die Telemedizin auch eine arbeitsmedizinische Betreuung spezieller Arbeitsplätze (z. B. Hochgebirge, Offshore, auf Auslandsreisen oder im Homeoffice) möglich, bei denen eine arbeitsmedizinische Betreuung vor Ort nur unter hohem Aufwand möglich wäre.
Im Rahmen der Telemedizin werden insbesondere personenbezogene medizinische Daten ausgetauscht und übermittelt, die hierbei verwendete Telematikinfrastruktur sowie die entsprechenden Rahmenbedingungen müssen die Vorgaben des Datenschutzes und der ärztlichen Schweigepflicht vollumfänglich gewährleisten. Der Einsatz der Telemedizin erfordert für die beteiligten Ärzte ausreichende Kenntnisse der speziellen medizinischen Methode, eine geeignete technische Ausstattung ohne große Anforderungen an die telemedizinische Infrastruktur für die Anwender sowie geeignete Datenformate für die Dokumentation. Juristischer Klärungsbedarf besteht bezüglich der Haftungsfrage bei einer telemedizinischen Fehlberatung.
Neben den exemplarisch aufgelisteten Vorteilen kann die Telemedizin auch mit Risiken bzw. Nachteilen verbunden sein. Durch die Telemedizin kann es zum Verlust des nonverbalen Kontaktes, der in der Medizin einen hohen Stellenwert besitzt, kommen und damit zu einer Störung der „Arzt-Patienten-Beziehung“ beitragen. Daher betonen Gegner der Telemedizin, dass diese Verfahren dem ärztlichen Ethos widersprechen würden. Grundsätzlich ist bei der inhaltlichen und technischen Ausgestaltung darauf zu achten, dass sich der Einsatz telemedizinischer Verfahren am medizinisch Notwendigen und nicht am technisch Machbaren orientiert. Telemedizinische Anwendungen sollen in der (Arbeits-)Medizin das ärztliche Handeln unterstützen und als ergänzender Bestandteil der konventionellen Versorgung im Wesentlichen zur Steigerung der Versorgungsqualität beitragen und diese nicht vollumfänglich ersetzen. Die Reduzierung der arbeitsmedizinischen Betreuung ausschließlich auf telemedizinische Verfahren kann dem Anspruch an die Arbeitsmedizin nicht gerecht werden und kann erforderliche ärztliche Untersuchungen und Maßnahmen (z. B. Impfungen) nicht ersetzen. Auch bei der Telemedizin ist die Kenntnis der speziellen Arbeitsplätze eine Grundvoraussetzung für eine individuelle, qualitätsgesicherte und evidenzbasierte Betreuung.
Angelehnt an die Leitsätze zur Teledermatologie sind u. a. die in Tabelle 1 zusammengestellten Grundsätze in der Arbeitsmedizin zu beachten.
Tab. 1: Telemedizinische Grundsätze für die Arbeitsmedizin
Telemedizin in der Arbeitsmedizin sollte nur dort eingesetzt werden, wo sie einen Beitrag zu einer verbesserten Versorgung der Beschäftigten leisten kann. |
Voraussetzung für den Einsatz der Telemedizin in der Arbeitsmedizin sind ausreichende Kenntnisse über den speziellen Arbeitsplatz und die entsprechenden Arbeitsbedingungen. |
Jeder Einsatz der Telemedizin in der Arbeitsmedizin sollte nur unter kritischer Abwägung von Nutzen und Aufwand erfolgen. |
Auch beim Einsatz der Telemedizin in der Arbeitsmedizin gilt die herkömmliche ärztliche Sorgfaltspflicht. |
Die telemedizinische Betreuung und Beratung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern erfordert spezifische Kenntnisse der eingesetzten Technologien sowie deren Limitationen und Risiken. |
Für den Einsatz telemedizinischer Verfahren in der Arbeitsmedizin sind im gleichen Maße arbeitsmedizinisches Fachwissen erforderlich wie für die konventionelle Betreuung. |
Bei der Verwendung telemedizinischer Verfahren sind die gesetzlichen Vorgaben des Datenschutzes und der ärztlichen Schweigepflicht vollumfänglich einzuhalten. |
Telemedizinische Verfahren sind in die arbeitsmedizinische Fort- und Weiterbildung zu integrieren. Telemedizinische Verfahren in der Arbeitsmedizin benötigen eine adäquate Qualitätssicherung. |
Die Reduzierung der arbeitsmedizinischen Betreuung ausschließlich auf telemedizinische Verfahren widerspricht den arbeitsmedizinischen Standards. |
Last but not least: Bei der Videosprechstunde sollte die Zustimmung des Beschäftigten eine wesentliche Voraussetzung sein. |
4.2Digitale Arbeitsplatzevaluierung bzw. Gefährdungsbeurteilung
Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) schreibt als wesentliche Grundlage für den Arbeitnehmerschutz die Arbeitsplatzevaluierung vor. Unter Arbeitsplatzevaluierung wird dabei die Pflicht der Arbeitgeber verstanden, die für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer bestehenden Gefahren an allen Arbeitsplätzen als Grundlage für durchzuführende Maßnahmen zu ermitteln und zu beurteilen sowie erforderlichenfalls die entsprechenden Maßnahmen umzusetzen und auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Bei der Ermittlung der Gefahren und Festlegung der Maßnahmen sind erforderlichenfalls Fachleute, wie z. B. Arbeitsmediziner mit heranzuziehen. Die Arbeitsplatzevaluierung orientiert sich dabei am PDCA-Zyklus (Planen – Durchführen – Prüfen – Verbessern).
Wie diese Arbeitsplatzevaluation im Einzelnen durchzuführen ist und wie die praktische Einbeziehung der erforderlichen Fachleute zu erfolgen hat, ist nicht weiter geregelt. Für die Objektivierung und Quantifizierung sämtlicher relevanter Gefahren bieten sich neben Begehungen der Arbeitsplätze u. a. die Verwendung von Checklisten und Fragebögen, ggf. die Messung relevanter Arbeitsplatzexpositionen (z. B. „Lärm“, Gefahrstoffe, Klimafaktoren) sowie weiterer Erhebungstools, an. Die Arbeitsplatzevaluierung ist dann die integrative Beurteilung aller Einzelgefährdungen.
Die Verwendung digitaler Erhebungsinstrumente, die an die spezielle Arbeitsplatzsituation adaptiert sind, haben sich hierfür bereits in der Arbeitsmedizin bewährt. Begehungen können z. T. auch virtuell erfolgen oder durch den Arbeitsmediziner virtuell begleitet werden.
Eine Digitalisierung des Prozesses der Arbeitsplatzevaluierung bietet für die Durchführung und Dokumentation viele Vorteile. Einzelne Schritte der Arbeitsplatzevaluierung (Analyse, Bewertung, Zielsetzung, Maßnahmen, Wirksamkeitsüberprüfung, Dokumentation) können miteinander verbunden werden und der Anwender kann digital durch die einzelnen Prozessschritte geführt werden. Zudem kann die Arbeitsplatzevaluierung durch Algorithmen dynamisch an die individuellen Bedürfnisse der speziellen Organisation angepasst werden.
Nachteile einer digital durchgeführten Arbeitsplatzevaluierung können sein, dass nur die digital präsentierten Arbeitsplätze beurteilt und weitere Faktoren wie z. B. Gerüche, Lärm und psychische Belastungsfaktoren nicht wahrgenommen werden können. Auch das Verhalten von Beschäftigten sowie die Verwendung von persönlicher Schutzausrüstung ist digital erschwert.
Gemäß dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (§ 14) sind Arbeitgeber verpflichtet, für eine ausreichende Unterweisung der Arbeitnehmer über Sicherheit und Gesundheitsschutz zu sorgen. Die Unterweisung muss dem Erfahrungsstand der Arbeitnehmer angepasst sein und in verständlicher Form erfolgen. Für die Unterweisung können erforderlichenfalls Fachleute wie z. B. Arbeitsmediziner hinzugezogen werden. Die Unterweisung muss während der Arbeitszeit erfolgen. Neben in Präsenz mündlich vorgetragenen Unterweisungen können diese auch schriftlich durchgeführt werden. Digitale Unterweisungen sind ebenfalls möglich und werden seit der Pandemie auch im Bereich des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz vermehrt eingesetzt.
Vorteile von digitalen online bzw. computerunterstützten Unterweisungen sind, dass diese zeit- und ortsunabhängig erfolgen können. Während der Pandemie war es auch möglich, Unterweisungen – insbesondere zur Hygiene und zum Infektionsschutz – unter Vermeidung direkter persönlicher Kontakte und somit unter Reduktion der Infektionsgefährdung durchzuführen. Des Weiteren können durch Wegfall von An- und Abreise – z. B. der Arbeitsmediziner – Kosten und Zeit eingespart werden. Asynchrone online-Unterweisungsmodule haben zusätzlich den Vorteil, dass das Lerntempo der zu Unterweisenden den eigenen Bedürfnissen angepasst werden können. Bei speziell entwickelten E-Learning-Unterweisungen kann durch eine entsprechende Gestaltung – z. B. durch Zwischenfragen – eine Personalisierung der Lerninhalte erfolgen.
Nachteil der digitalen Unterweisung können der fehlende Austausch zwischen den Akteuren (Unterweiser – Unterweisende) sowie die erforderliche Selbstdisziplin, die für das Durcharbeiten der Unterweisungsinhalte notwendig ist, sein. Zudem setzt eine digitale Unterweisung auch eine entsprechende technische Ausrüstung und den sicheren Umgang mit digitalen Endgeräten voraus. Die Erstellung digitaler Unterweisungsangebote kann aufwendig sein, eine Mehrfachnutzung ist in der Regel jedoch möglich, was den Erstellungsaufwand relativieren kann. Im Rahmen der Qualitätssicherung sind digitale Unterweisungen zu begleiten und ihre Evidenz und Nachhaltigkeit in geeigneter Form zu überprüfen.
Die Erfahrungen aus der Pandemie zeigen, dass arbeitsmedizinische Online-Angebote und telemedizinische Methoden in der Arbeitsmedizin zunehmend an Bedeutung gewinnen werden. Die Vor- und Nachteile sind bei deren Anwendung gegeneinander abzuwägen. Zudem sind die entsprechenden Formate an die digitale Anwendung anzupassen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen überprüft und ggf. an die neuen Zugangswege einer digitalen arbeitsmedizinischen Betreuung angepasst werden, um eine rechtssichere Nutzung sicherzustellen.
Literatur
Augustin M. et al. (2018): Praxis der Teledermatologie. Leitfaden der deutschsprachigen Dermatologen. https://www.bvdd.de/fileadmin/BVDD/BVDD-Download/Leitfaden_Praxis_der_Teledermatologie.pdf
Letzel S. et al. (2020) (Hrsg.): Telemedizin. E-Health in der Arbeitsmedizin. Ecomed Medizin.
Letzel S. et al. (2016): Telemedizin — eine zukunftsorientierte Methode für die Arbeitsmedizin. Arbeitsmedizin – Sozialmedizin – Umweltmedizin (ASU), Ausgabe 04-2016.
Verwaltungsberufsgenossenschaft (2022): Telemedizin in der Betriebsärztlichen Betreuung – eine sinnvolle Ergänzung. Oktober 2022 (https://www.vbg.de/SharedDocs/Medien-Center/DE/Broschuere/Themen/Arbeitsschutz_organisieren/Telearbeitsmedizin_FactSheet.pdf;jsessionid=4D492F5A3FFC96B8FF770BBCC6C24C6D.live4?__blob=publicationFile&v=6)
5Rechtliche Verantwortlichkeit des Arbeitsmediziners
Paul Gabriel
Aufgrund der besonderen Kenntnisse und Fertigkeiten wird an Ärzte ganz allgemein ein hoher Sorgfaltsmaßstab bei der Ausübung ihrer Tätigkeit angelegt. Wie für andere Fachexperten – etwa Rechtsanwälte oder Steuerberater – gilt daher auch für sie sogenannte Sachverständigenhaftung (vgl. § 1299 ABGB). Das bedeutet, dass Arbeitsmediziner bei einer Verletzung der vorausgesetzten Sorgfaltsmaßstäbe im Falle eines Schadenseintritts haften können.
Darüber hinaus sind Arbeitsmediziner, so wie andere Personen auch, für rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten, das zu einer Schädigung geführt hat, verantwortlich.
Neben einer möglichen zivilrechtlichen und einer strafrechtlichen Haftung sind zudem eine verwaltungsstrafrechtliche und eine disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit denkbar, welche nebeneinander zur Anwendung kommen können. D. h., eine Haftung schließt die andere nicht aus.
5.2.1Begriffe und Voraussetzungen
Im österreichischen Zivilrecht unterscheidet man – je nachdem, ob zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten ein Vertrag besteht – zwischen einer Haftung aus Vertrag und einer Haftung aus Delikt.
Primäre Haftungsvoraussetzung ist das Vorliegen eines Schadens. Zusätzlich muss das Verhalten des Schädigers kausal für den Schadenseintritt gewesen sein, sohin dem Schädiger (gegebenenfalls mehreren Schädigern) zurechenbar sein.
Die Schädigung muss rechtswidrig erfolgt sein. Unter Rechtswidrigkeit versteht man eine objektive Sorgfaltswidrigkeit, welche sich in einem Verstoß gegen ein Gesetz oder einen Vertrag oder in einem Eingriff in sogenannte absolut geschützte Rechtsgüter (wie Leben, Gesundheit, Eigentum) äußert.
Schließlich muss der Schädiger bzw. ein für den Schädiger Verantwortlicher schuldhaft gehandelt haben. Unter Verschulden versteht man die subjektive Vorwerfbarkeit eines Handelns oder Unterlassens. Das Verschulden lässt sich je nach Schwere des Fehlverhaltens in Vorsatz und Fahrlässigkeit (grob/leicht/leichtest) unterteilen.
Bei angestellten Arbeitsmedizinern kann es bei Erfüllung sämtlicher Haftungsvoraussetzungen zu einer Haftungseinschränkung aufgrund des Dienstnehmerhaftpflichtgesetzes (DHG) kommen.
Zugunsten von Dienstnehmern sieht das DHG Haftungserleichterungen vor, sofern die Schädigung in Erbringung der Dienstleistung erfolgt ist. Das Gericht kann unter gewissen Umständen einen allfälligen Ersatzanspruch je nach Verschuldensgrad mäßigen bzw. entfallen lassen (Vorsatz – volle Haftung, grobe Fahrlässigkeit – Mäßigung, leichte Fahrlässigkeit – Mäßigung bis Entfall, leichteste Fahrlässigkeit – keine Haftung).
Schadenersatzansprüche verjähren in der Regel nach drei Jahren ab Kenntnis des Geschädigten von Schaden und Schädiger. Bleiben sowohl Schaden als auch Schädiger unbekannt, verjähren allfällige Ersatzansprüche in jedem Fall nach 30 Jahren (absolute Verjährung).
Eine freiberufliche ärztliche Tätigkeit darf in Österreich von Gesetz wegen nur nach Abschluss und Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung ausgeübt werden (§ 52d ÄrzteG 1998). Das gilt auch für eine freiberufliche Tätigkeit als Arbeitsmediziner. Die Mindestversicherungssumme zur Deckung etwaiger aus der Berufsausübung entstehender Schadenersatzansprüche hat für jeden Versicherungsfall EUR 2.000.000,– zu betragen.
Wie ganz allgemein im Arzthaftungsrecht kommt eine strafrechtliche Haftung für den Arbeitsmediziner insbesondere aufgrund fahrlässigen Handelns in Betracht, wobei derartige Fälle im Bereich der Arbeitsmedizin äußerst selten sind.
Eine strafrechtliche Haftung ist stets personenbezogen und dieses Haftungsrisiko ist nicht versicherbar. Haftungsvoraussetzungen sind (ähnlich wie im Bereich des Zivilrechts) zum einen Tatbestandsmäßigkeit und Kausalität und zum anderen Rechtswidrigkeit und Verschulden (Vorsatz – Fahrlässigkeit).
Alfred Lutschinger
Freie Berufe
Freie Berufe sind Berufe im öffentlichen Interesse, die nicht von der Gewerbeordnung erfasst werden, sondern in Spezialgesetzen geregelt sind.
Als freie Berufe gelten: Apotheker, Ärzte, Hebammen, Notare, Psychotherapeuten, Rechtsanwälte, Wirtschaftstreuhänder etc.
Unternehmen
Ein Unternehmen ist jede auf Dauer angelegte Organisation mit einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit, mag sie auch nicht auf Gewinn gerichtet sein (§ 1 Österr. Unternehmensgesetzbuch (UGB)).
6.1.2Rechtsformen – Welche sind relevant für betriebsärztliche Einrichtungen?
Folgende Rechtsformen kommen für ärztliche Einrichtungen infrage:
Tab. 1: Mögliche Rechtsformen ärztlicher Einrichtungen
Externes Rechnungswesen
Einnahmen-Ausgaben-Rechnung
Doppelte Buchhaltung
Muss geführt werden, rechtliche Vorschriften, Gläubigerschutz, Dividenden für Eigentümer
Internes Rechnungswesen
Kosten- und Erlös-(Leistungs-)Rechnung
Betriebsergebnis
Kann geführt werden, betriebsindividuell, ermöglicht Tiefengliederung (in welchem Bereich fallen Kosten an, wofür fallen Kosten an?)
6.1.4Wie wird der Erfolg ermittelt?
Einnahmen-/Ausgabenrechnung: Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben
Einnahmen sind die tatsächlichen Geldzuflüsse des Unternehmens (z. B. Bezahlung einer Rechnung durch einen Kunden).
Ausgaben sind die tatsächlichen Geldabflüsse aus dem Unternehmen (z. B. Bezahlung einer Rechnung an einen Lieferanten).
Doppelte Buchhaltung: Differenz zwischen Erträgen und Aufwendungen
Ertrag: alle erfolgswirksamen Wertezuflüsse in das Unternehmen durch erstellte Güter und/oder Dienstleistungen innerhalb der Rechnungsperiode (z. B. Erbringung einer Leistung mit abschließender Rechnungslegung – unabhängig vom Zeitpunkt der Bezahlung durch den Kunden)
Aufwand: der gesamte Wertverzehr für Güter und Dienstleistungen in einer Rechnungsperiode (z. B. Lieferung einer Ware unabhängig vom Zeitpunkt der Bezahlung)
Kostenrechnung: Differenz zwischen Erlösen und Kosten
Erlöse: stellen den Gegenwert der Leistungserstellung und Leistungsverwertung eines Betriebes dar
Kosten: der wertmäßige Verzehr von Produktionsfaktoren zur Erstellung betrieblicher Leistungen
6.1.5Methoden der Erfolgsermittlung einer betriebsärztlichen Einrichtung
Doppelte Buchhaltung: Betriebsärztliche Einrichtung wird als GmbH oder als Personengesellschaft (Offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) nach Überschreiten von Umsatzgrenzen geführt.
Einnahmen-Ausgaben-Rechnung: Betriebsärztliche Einrichtung wird als Einzelunternehmen bzw. als Personengesellschaft bis zum Erreichen bestimmter Umsatzgrenzen geführt.
6.2.1Budget1
Das Budget ist ein in wertmäßigen Größen (Geldbeträgen) formulierter Plan von zukünftig erwarteten Einnahmen und Ausgaben.
Die Ausgaben und Einnahmen sind in fix oder frei definierte Positionen (Ausgaben- und Einnahmenarten) zu untergliedern. Die Tiefengliederung ergibt sich aus den unternehmerischen oder gesetzlichen Erfordernissen.
Tab. 2: Einnahmen-/Ausgabenarten (Beispiel einer Mindestgliederung)
Umsatzerlöse
Kalkulation: geplante Stunden je Unternehmen multipliziert mit dem vereinbarten Stundensatz
Sonstige Einnahmen
Kalkulation auf Basis von Verträgen (z. B. Mieteinnahmen, Betriebskosten) bzw. Erfahrungswerten
Personalausgaben
Kalkulation: Bruttogehalt zuzüglich gesetzliche Lohnnebenkosten
Sachausgaben
Kalkulation auf Basis von Verträgen (z. B. Mietausgaben) bzw. Erfahrungswerten
Zu den Investitionen zählen alle Wirtschaftsgüter, die dazu bestimmt sind, dem Unternehmen auf längere Zeit (= mehr als 1 Jahr) zu dienen.
Die Wertminderung der Investition (bedingt durch Nutzung, technische Überholung etc.) wird im Rechnungswesen durch die Abschreibung ermittelt, das ist die wertmäßige Verteilung der Investition auf die Nutzungsdauer. Sie ist bei Erstellung des Budgets sowohl bei der doppelten Buchhaltung als auch bei der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung als eigene Ausgabenposition (statt der vollen Investition) anzugeben.
Die Abschreibung wird ermittelt, indem der Anschaffungs- bzw. Herstellungswert durch die Nutzungsdauer dividiert wird. Die Nutzungsdauer ist auf Basis von Erfahrungswerten festzulegen, es gibt jedoch eine steuerlich vorgeschriebene Mindestnutzungsdauer.
Außerdem lässt es das Steuergesetz zu, Wirtschaftsgüter bis zu einer bestimmten Wertgrenze im Jahr der Anschaffung zur Gänze abzuschreiben („geringwertige Wirtschaftsgüter“).
Grundbuch (Journal): Aufzeichnung aller Geschäftsfälle in zeitlicher Reihenfolge
Hauptbuch: Erfassung aller Geschäftsfälle auf Konten (Sachkonten)
Nebenbücher (Personenkonten):
Kreditoren: Personen- bzw. firmenbezogene Erfassung der Eingangsrechnungen von Lieferanten
Debitoren: Personen- bzw. firmenbezogene Erfassung aller Ausgangsrechnungen an Kunden
Anlagen: Einzelerfassung und -bewertung des Anlagevermögens
Material: Einzelerfassung und -bewertung der Waren, die bevorratet werden
Personal: Einzelerfassung der Mitarbeiter mit Einstufung, Gehalt, Urlaub etc.
Tab. 3: Gliederung einer Bilanz
Aktiva | Passiva |
1. Anlagevermögen | 1. Eigenkapital |
2. Umlaufvermögen | 2. Fremdkapital |
3. Rechnungsabgrenzungen | 3. Rechnungsabgrenzungen |
Die Bilanz ist eine systematische Darstellung der betriebswirtschaftlichen Gesamtsituation eines Unternehmens zu einem Stichtag.
Begriffe aus der Bilanz:
Aktiva zeigt Zusammensetzung des Vermögens
Passiva gibt Auskunft über Herkunft des Vermögens
Zum Anlagevermögen zählen Wirtschaftsgüter, die dazu bestimmt sind, dem Unternehmen für längere Zeit (> 1 Jahr) zur Verfügung zu stehen.
abnutzbares Anlagevermögen → Wertminderung über Nutzungsdauer, Methode: Anlagenabschreibung
nicht abnutzbares Anlagevermögen → keine Abnutzung, Abschreibung nur bei dauerhaftem Wertverlust
Das Umlaufvermögen beinhaltet jenes Vermögen, das dem Unternehmen nur für kurze Zeit zur Verfügung steht (< 1 Jahr) und über die Geschäftstätigkeit umgeschlagen werden soll (z. B. Waren).
Das Eigenkapital ist das vom Eigentümer eingebrachte Kapital. Eigentümer haben Anspruch auf die erwirtschafteten Gewinne. Verbleiben Gewinne im Unternehmen, erhöhen diese das Eigenkapital.
Fremdkapital ist jenes Kapital, das von Dritten nur bestimmte Zeit zur Nutzung übergeben wird. Fremdkapitalgeber haben Anspruch auf Verzinsung und Rückzahlung.
6.3.3Gewinn- und Verlustrechnung
Die folgende Tabelle zeigt beispielhaft ein Schema einer Gewinn- und Verlustrechnung.
Tab. 4: Schema nach dem Gesamtkostenverfahren (verkürzte Darstellung):
Umsatzerlöse (+) sonstige betriebliche Erträge (+) Materialaufwand und Bezogene Leistungen (–) Personalaufwand (–) Abschreibungen (–) sonstige betriebliche Aufwendungen (–) Betriebserfolg (EBIT) |
Zins- und Wertpapiererträge Zinsen und ähnliche Aufwendungen Finanzerfolg |
Ergebnis vor Steuern (EBT) = Betriebserfolg + Finanzerfolg |
Steuern vom Einkommen und Ertrag (–) Jahresabschluss/Jahresfehlbetrag – Ergebnis nach Steuern (EAT) |
Zuweisung bzw. Auflösung von Rücklagen (+/–) Gewinn-/Verlustvortrag (+/–) Bilanzgewinn/Bilanzverlust |
Begriffe aus der Gewinn- und Verlustrechnung:
Umsatzerlöse: jene Umsätze, die ein Unternehmen im Rahmen seiner gewöhnlichen Geschäftstätigkeit durch den Verkauf von Waren oder Dienstleistungen erwirtschaftet
sonstige betriebliche Erträge: Sammelposten für betriebliche Erträge, die außerhalb der Umsatzerlöse anfallen; sie stehen nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Unternehmenszweck
Materialaufwand und bezogene Leistungen: Aufwendungen für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie Fremdleistungen, die für die eigene Warenproduktion bzw. Leistungserstellung erforderlich sind
Personalaufwand: Bruttolöhne und -gehälter zuzüglich der gesetzlichen Lohnnebenkosten
Abschreibungen: Wertverzehr des abnutzbaren Anlagevermögens
sonstige betriebliche Aufwendungen: Sammelposten für sämtliche ordentlichen Aufwendungen, die nicht den anderen Aufwandkosten zuzuordnen sind. Beispiele: Rechts- und Beratungskosten, Mietaufwand, Betriebskosten, Nachrichtenaufwand etc.
Zins- und Wertpapiererträge: Zinsenerträge auf Bankkonten, Erträge aus Beteiligungen etc.
Zinsen und ähnliche Aufwendungen: Zinsaufwendungen aus kurz- und langfristigen Krediten, Beteiligungsverluste etc.
Steuern vom Einkommen und Ertrag: Körperschaftssteuer, Kapitalertragssteuer, Einkommensteuer etc.
Zuweisung bzw. Auflösung von Rücklagen: Bildung von Reserven, um Kapital im Unternehmen zu belassen (= Zuweisung) bzw. zur Abdeckung von Verlusten (= Auflösung)
6.4.1Systeme der Kostenrechnung
Tabelle 5 stellt Systeme der Kostenrechnung dar.
Tab. 5: Betriebsbuchhaltung (Systeme der Kostenrechnung)
Kostenartenrechnung | Kostenstellenrechnung | Kostenträgerrechnung |
Welche Kosten sind angefallen? ↓ Personalkosten Sachkosten kalk. Kosten | Wo sind die Kosten angefallen? ↓ Betriebseinheiten | Wofür sind die Kosten angefallen? ↓ Produkte/Kunden |
6.4.2Begriffe der Kostenrechnung
Einzelkosten: Kosten, die dem Produkt direkt zugerechnet werden können (z. B. Materialverbrauch)
Gemeinkosten: nicht unmittelbar dem Produkt zurechenbare Kosten (z. B. Miete, Abschreibungen, Zinsen, Verwaltungskosten)
fixe Kosten: Kosten, die bei variierender Beschäftigung gleichbleiben (z. B. Abschreibungen, Geschäftsausstattung, Miete Räumlichkeiten, Gehalt Geschäftsführer etc.)
variable Kosten: Kosten, die mit der Beschäftigung variieren (z. B. Überstunden, Materialaufwand)
Die Zuordnung der Erlöse zu den Kunden ist aus der Buchhaltung (Kunden- oder Debitorenbuchhaltung) ableitbar. Für alle übrigen Position braucht man ein leistungsbezogenes Schlüsselsystem, um die Kosten zu verteilen.
Tab. 6: Kostenverteilung (Beispiel):
Als Ergebnis erhält man kundenbezogene Ergebnisse (s. Tab. 7).
Tab. 7: Kostenträgerrechnung (Wofür fallen Kosten an?), Angaben in EUR
Um zu erkennen, wo in einem Unternehmen Kosten anfallen, werden Kostenstellen eingerichtet. So wird beispielsweise jeder Mitarbeiter einer Kostenstelle oder Sachaufwendungen den relevanten Kostenbereichen zugeordnet (z. B. Abteilung, Ordinationsraum, Fahrzeug. Auch hier ist es sinnvoll, am Beginn eines Jahres ein Budget je Kostenstelle zu erstellen.
Tab. 8: Kostenstellenrechnung (Wo fallen Kosten an?), Angaben in EUR
6.5Umsatzsteuerliche Bestimmungen für Arbeitsmediziner
Für arbeitsmedizinische Leistungen gemäß § 82 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz und § 78 Bundesbedienstetenschutzgesetz muss die gesetzlich vorgesehene Umsatzsteuer verrechnet werden. Dafür steht der Vorsteuerabzug (anteilig) zu.
6.5.1Ausnahmen von der Umsatzsteuerpflicht für Arbeitsmediziner
Folgende arbeitsmedizinischen Leistungen sind von der Umsatzsteuerpflicht ausgenommen
die individuelle Beratung der Arbeitnehmer und Bediensteten in Angelegenheiten des Gesundheitsschutzes, der auf Arbeitsbedingungen bezogenen Gesundheitsförderung und der menschengerechten Arbeitsgestaltung
die arbeitsmedizinische Untersuchung von Arbeitnehmern und Bediensteten, ausgenommen Einstellungs- und berufliche Eignungsuntersuchungen
Schutzimpfungen
Dokumentation dieser Tätigkeiten
Damit lassen sich folgende Regeln zusammenfassen:
Grundregel: ärztliche Leistungen sind umsatzsteuerfrei
Ausnahme: arbeitsmedizinische Leistungen sind umsatzsteuerpflichtig
Gegenausnahme: arbeitsmedizinische Leistungen an Arbeitnehmer sind umsatzsteuerfrei
Ausnahme von der Gegenausnahme: Einstellungs- und berufliche Eignungsuntersuchungen von Arbeitnehmern sind umsatzsteuerpflichtig
6.5.3Vereinfachungsmöglichkeit
Bei Gesamtbetragsabrechnungen (etwa nach Stunden oder Monatspauschalen) können die Honorarnoten vom Arbeitsmediziner auch pauschal mit
90 % umsatzsteuerpflichtig und
10 % umsatzsteuerfrei behandelt werden.
Ergebnis: eine Honorarnote mit zwei unterschiedlichen Steuersätzen (20 % und 0 %)
6.5.4Sonderfall für alle Unternehmer, Ärzte usw.
Kleinunternehmerregelung: Bis zu dem gesetzlich festgelegten Jahresumsatz besteht generell Umsatzsteuerfreiheit (weder Umsatzsteuer auf Rechnung noch Vorsteuerabzug). Man kann aber freiwillig zur Umsatzsteuerpflicht optieren!
1Begriffe aus Einnahmen-/Ausgabenrechnung. Bei doppelter Buchhaltung sind „Erträge“ und „Aufwendungen“ anzusetzen.
1Belastungs-Beanspruchungs-Konzept
Christian Wolf
Während reine Belastungskonzepte (z. B. Arbeitsplatzgrenzwerte; „die Dosis macht das Gift“) die individuellen Reaktionen auf Belastungen außer Acht lassen, stellt das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept eine wesentliche Erweiterung der Beurteilungskriterien dar.
Dabei wird unter dem Begriff Belastung jegliche arbeitsbedingte Einwirkung auf den Menschen verstanden. Solche Belastungen können sein:
physische Belastungen
Heben, Tragen, Gehen, Stehen etc.
physikalische Belastungen
thermische Belastungen, Überdruck, Unterdruck, Strahlen, Schallwellen,
Vibrationen, elektromagnetische Felder, Ströme, Magnetfelder, mechanische Kräfte etc.
chemische Belastungen
Schwermetalle, organische Lösemittel, Kohlenmonoxid, Säuren, Laugen, Isocyanate etc.
biologische Belastungen
Bakterien, Viren, Pilze, Prionen, Parasiten, Pollen etc.
psychische Belastungen
psychosoziale Belastungen, Zeitdruck, Überforderung, Unterforderung, Betriebsklima, Verantwortung etc.
Nur selten treten Belastungen isoliert als Einzelfaktoren auf. Meist handelt es sich um Kombinationen. Beispiel Forstarbeiter: Stehen, Gehen, klimatische Einwirkungen je nach Jahreszeit, schwere Muskelarbeit, Vibrationen und Lärm (Motorsäge), Stäube und Pollen, Infektionen (Zeckenbiss) etc.
Die individuellen Reaktionen auf solche arbeitsbedingten Belastungen werden Beanspruchung oder Beanspruchungsreaktionen genannt. Belastung und Beanspruchung sind wertneutrale Begriffe. Belastungen können sowohl positiv (Steigerung von Ressourcen durch Anpassungs- und Trainingseffekte) als auch negativ (bei Überforderung oder Unterforderung) sein.
Das Ausmaß der Beanspruchungsreaktionen hängt – neben der Höhe der Belastung – von den Ressourcen des Individuums ab. Diese setzen sich aus angeborenen sowie erworbenen Eigenschaften und Fähigkeiten zusammen. Trainingseffekte und Anpassungs-
mechanismen befähigen die Arbeitnehmer zur Stärkung der Ressourcen, während ständige Unterforderung oder Krankheiten zur Verminderung von Ressourcen beitragen können. Regelmäßige arbeitsmedizinische Untersuchungen zur Früherkennung allfälliger pathologischer Beanspruchungsreaktionen sind eines der wesentlichen Ziele der Arbeitsmedizin zur Verhinderung arbeitsbedingter Gesundheitsschäden.
Beispiele:
Chemische Exposition gegenüber Bleistaub:
Blei in der Luft: Belastung
Blei im Blut: sogenannte innere Belastung
Anstieg des Biomarkers Porphyrinausscheidung im Harn, jedoch innerhalb der Grenzwerte: tolerable Beanspruchungsreaktion
Anstieg der Porphyrinausscheidung im Harn über den zulässigen Wert: pathologische Beanspruchungsreaktion. In diesem Fall kann sowohl die Belastung zu hoch sein, als auch ein Metabolismusdefekt des Individuums vorliegen (Näheres siehe Kapitel VII.2 Metalle: Blei).
Thermische Belastung bei Hitzearbeit:
Lufttemperatur: Belastung
Luftfeuchte: Belastung
Luftgeschwindigkeit: Belastung
Strahlungswärme: Belastung
Anstieg der Schweißproduktion: Beanspruchungsreaktion
Anstieg der Herzfrequenz: Beanspruchungsreaktion
Tachykardie mit Abfall des Blutdrucks: pathologische Beanspruchungsreaktion
pathologischer Anstieg der Körperkerntemperatur: pathologische Beanspruchungsreaktion
Ein historischer Beanspruchungsparameter ist der „Arbeitspuls“: der Anstieg des Pulses bei der Arbeit (und nicht die Höhe des Pulses bei der Arbeit!).
Dazu ein Beispiel: Ruhepuls 60/min., Puls bei der Arbeit: 90/min., Arbeitspuls daher 30. Für gleichmäßige körperliche Arbeit gilt ein Arbeitspuls von 30–35 über den gesamten Arbeitstag als unbedenklich. Eine weitere Faustregel besagt, dass im Fall gleichmäßiger körperlicher Dauerbelastung etwa ein Drittel der maximalen körperlichen Leistungsfähigkeit als Dauerleistung über einen Arbeitstag erbracht werden kann (sogenannte Dauerleistungsgrenze).
Christian Wolf
Grenzwerte für Arbeitsstoffe kommen im Rahmen der Primärprävention zur Anwendung. Sie dienen dem Gruppenschutz, notgedrungen in Kauf nehmend, dass die Einhaltung von Grenzwerten keineswegs alle Arbeitnehmer zu schützen vermag. Als Beispiel können Arbeitnehmer angeführt werden, welche infolge von Enzymvarianten verzögerte Entgiftungs- oder Stoffwechselvorgänge aufweisen. Man hat daher aus gutem Grund als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme für viele Arbeitsstoffe gesetzlich vorgeschriebene arbeitsmedizinische Untersuchungen vorgesehen. Im Rahmen dieser individualmedizinischen Sekundärprävention können allfällige adverse Effekte detektiert werden. Die Grenzwerteverordnung (GKV), welche tagesaktuell und kostenfrei dem Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) entnommen werden kann, regelt die zugehörigen Begrifflichkeiten und Definitionen.
Grundsätzlich sind zwei Grenzwertkonzepte zu unterscheiden:
1.Grenzwerte, die auf Schwellenwerten begründet sind, unterhalb welcher schädliche Gesundheitseffekte nicht wahrscheinlich sind.
2.Grenzwerte für Expositionen, für welche keine wirkungslose Dosis festgelegt werden kann. Nach diesem Konzept werden beispielsweise krebserregende Arbeitsstoffe und ionisierende Strahlen bewertet.
Zur ersten Gruppe, welche einem deterministischen Prinzip folgt, zählen die MAK-Werte. Verstanden wird darunter die maximal zulässige Arbeitsstoffkonzentration in der Luft am Arbeitsplatz, die nach dem gegenwärtigen Stand der Kenntnis auch bei wiederholter und langfristiger Exposition (gemeint sind 8 Stunden pro Tag bzw. 40 Stunden pro Woche bzw. 42 Stunden im Schichtbetrieb) die Gesundheit der Beschäftigten im Allgemeinen nicht beeinträchtigt und diese nicht unangemessen belästigt.
MAK-Werte sind Mittelwerte, deren Überschreitung in bestimmten Fällen zulässig ist. Die Höhe der MAK-Werte kann der MAK-Werte-Liste entnommen werden, in welcher auch die zulässigen Häufigkeiten und Höhen allfälliger Überschreitungen der Spitzenwerte geregelt sind. MAK-Werte gelten nur für Personen im erwerbsfähigen Alter, sie gelten nicht für Schwangere. Vorausgesetzt wird, dass sich die Stoffe als Gas, Dampf oder Schwebstoffe in der Luft am Arbeitsplatz befinden, eine qualitätsgesicherte Analytik für die betreffende Substanz existiert und wissenschaftlich begründete Grenzwerte vorliegen.
Die Passage „im Allgemeinen“ der oben angeführten Definition bedeutet, dass grundsätzlich nicht alle Arbeitnehmer geschützt werden können, die Passage „nach gegenwärtigem Kenntnisstand“ beinhaltet die Verpflichtung, sich regelmäßig über die Gültigkeit einzelner Werte zu informieren, da neue Erkenntnisse durchaus zur Herabsetzung von MAK-Werten führen können.
Das biologische Pendant zu MAK-Werten sind die BAT-Werte (BAT = Biologische Arbeitsstoff-Toleranz), worunter Arbeitsstoffe oder ihre Metaboliten im biologischen Material, also Blut bzw. Harn, verstanden werden.
Als BAT-Wert wird die höchstzulässige Menge eines Arbeitsstoffes bzw. eines Arbeitsstoff-Metaboliten oder die dadurch ausgelöste Abweichung eines biologischen Indikators von der Norm bezeichnet, die nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse im Allgemeinen die Gesundheit der Beschäftigten dann nicht beeinträchtigt, wenn sie durch Einflüsse des Arbeitsplatzes regelhaft erzielt wird (Definition aus Enderle/Seidel: Arbeitsmedizin Fort- und Weiterbildung. Urban & Fischer 2004).
Wiederum erfolgt der Bezug auf die o. g. Arbeitszeiten. Auch hier müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden:
eine geeignete Matrix (Blut oder Harn)
ein geeignetes Analysenverfahren
wissenschaftlich begründete Grenzwerte
Technische Richtkonzentrationen (TRK) werden für Substanzen erstellt, für die keine wissenschaftlich begründeten Schwellenwerte angegeben werden können. Es handelt sich daher um den Versuch einer Minimierung von Gesundheitsrisiken entsprechend den technischen Möglichkeiten. Wiederum ist Voraussetzung, dass sich die jeweiligen Stoffe als Gas, Dampf oder Schwebstoffe in der Luft am Arbeitsplatz verteilen. Eine Problematik kann sich aus der Tatsache ergeben, dass die technischen Möglichkeiten durch die Betriebsgröße und Betriebsausstattung durchaus unterschiedlich sein können. Die Diskussion geht daher in die Richtung, risikobasierte Grenzwerte zu erarbeiten. Als Vergleichsparameter wird dabei das Krebsrisiko der Allgemeinbevölkerung herangezogen. Im Schrifttum der AUVA finden sich dazu ausgezeichnete Beiträge.
Das biologische Äquivalent zu den BAT-Werten sind die EKA-Werte (Expositionsäquivalente für krebserregende Arbeitsstoffe).
Neben diesen Grenzwerten sind in der Arbeitsmedizin zahlreiche weitere Grenzwerte geläufig. Dazu zählen etwa Grenzwerte für Arbeitszeiten, Lärmexposition, Vibrationsbelastungen, klimatische Belastungen, Belastungen durch elektromagnetische Felder oder ionisierende Strahlen. Für manche Belastungen sind Auslösewerte definiert. Diese sind unterhalb von Grenzwerten angesiedelt und lösen – wie der Name sagt – Gestaltungsmaßnahmen im Sinn der Verhältnisprävention aus, wobei die Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit ermöglicht wird.
Christian Wolf
Je nach Anwendungsbereich (z. B. Rechtsprechung, Versicherungswesen, Arbeitsmedizin bzw. Arbeitsschutz) ändert sich die Bedeutung der Begriffe „Gefahr, „Gefährdung“ und „Risiko“. Daher werden die zugehörigen Begrifflichkeiten aus dem arbeitsmedizinischen Tätigkeitsfeld im Folgenden erläutert.
Darunter wird eine Sachlage verstanden, die grundsätzlich zu einem Schaden führen kann.
Beispiel: Rutschgefahr. Diese beschreibt die Möglichkeit des Ausrutschens, etwa durch einen glatten und feuchten Fußboden. Solange allerdings keine Person über diesen Fußboden geht, kann auch keine Gefährdung entstehen. Als Gefährdung wird in diesem Beispiel somit eine mögliche Gesundheitsschädigung oder Beeinträchtigung der Gesundheit bezeichnet, welche beim Zusammentreffen von Person und Gefahrenquelle entsteht.
Dieser Begriff beschreibt in diesem Zusammenhang Eintrittswahrscheinlichkeit und Ausmaß eines Gesundheitsschadens bzw. einer gesundheitlichen Beeinträchtigung. Demnach wird eine geringe Wahrscheinlichkeit einer klinisch wenig relevanten Beeinträchtigung der Gesundheit ein geringes Risiko darstellen. Eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit, verknüpft mit einer erheblichen Gesundheitsschädigung, bedeutet ein erhebliches Risiko, während eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit, verbunden mit einem schwerwiegenden Gesundheitsschaden, höchstes Risiko darstellt. Es existieren verschiedene Verfahren der Risikobewertung, häufig werden Kennzahlen oder Scores zur Skalierung des Risikos verwendet.
Die Gefährdungsbeurteilung von Arbeitsprozessen zielt daher darauf ab, eine Beeinträchtigung oder Schädigung der Gesundheit zu vermeiden. Thematisch verknüpft sind die eben erläuterten Begriffe mit dem Belastungs-Beanspruchung-Konzept. Der Begriff „Belastung“ korrespondiert mit dem Begriff „Gefahr“, wenngleich sich natürlich nicht aus jeder Belastung eine Gefahrenlage ergibt. Der Begriff „Beanspruchung“ korrespondiert in etwa mit dem Begriff „Gefährdung“, wobei auch hier die Aussage zu treffen ist, dass nicht jede Beanspruchungsreaktion eine Gesundheitsgefahr oder Beeinträchtigung der Gesundheit darstellen wird.
Letztlich handelt es sich um nichts anderes als den arbeitsmedizinischen Handlungsprozess. An das Erkennen von Einflussfaktoren schließt sich eine Gefährdungsbeurteilung inklusive der Abschätzung eines allfälligen Gesundheitsrisikos an. Je nach Ergebnis und Dringlichkeit werden Maßnahmen zu planen sein, mit dem Ziel, ein allfälliges Risiko auszuschalten oder zumindest zu minimieren. Daran schließt sich stets eine Neubewertung an, um die Sinnhaftigkeit der Korrekturmaßnahmen zu überprüfen. Dieser Kreisprozess ist eine der Grundlagen der Arbeitsplatzevaluierung. Details dazu werden in den entsprechenden Kapiteln dargestellt.
Im Rahmen des Qualitätsmanagements sind solche Prozesse im Rahmen des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) geläufig. Ein gängiges Beispiel ist der sogenannte PDCA-Zyklus (plan – do – check – act).
Paul Gabriel
Die österreichische Rechtsordnung ist, vereinfacht dargestellt, die Summe aller gültigen Regeln in unserer Rechtsgemeinschaft. Man unterscheidet im Groben das Öffentliche Recht und das Privatrecht (Bürgerliches Recht) und spricht daher auch von der Zweiteilung der Rechtsordnung.
Das Privatrecht regelt die Rechtsverhältnisse der einzelnen Rechtssubjekte untereinander.
Aufgabe des Öffentlichen Rechts ist die Organisation des Gemeinwesens und die Regelung des Verhältnisses der einzelnen Körperschaften zueinander sowie auch der einzelnen Bürger zum Staat. Diese rechtlichen Regeln bzw. Rechtsnormen haben zumeist verbindliche Wirkung und können im Anlassfall mit staatlicher Zwangsgewalt (Hoheitsgewalt) durchgesetzt werden. Im Bereich des Zivilrechts führt der Rechtsweg vor die (ordentlichen) Gerichte, im Bereich des Öffentlichen Rechts vor die Verwaltungsbehörden.
1.1.2Stufenbau der Rechtsordnung
Der Stufenbau der Rechtsordnung bezeichnet das hierarchische Verhältnis der unterschiedlichen Regelungen der Rechtsordnung (Rechtsquellen) zueinander. Die einzelnen Rechtsnormen stehen dabei in einem Verhältnis der Über- oder Unterordnung, wobei die niedrigere Rechtsnorm durch die höhere gedeckt sein muss.
Bei Normwidersprüchen ist die unterlegene Rechtsnorm entweder nicht anzuwenden (gesetzwidrige Betriebsvereinbarung) oder sie ist verfassungs- bzw. gesetzwidrig, bleibt aber bis zu ihrer Aufhebung weiter anzuwenden (gesetzwidrige Verordnung). Bei Widersprüchen zwischen Rechtsnormen gleicher Stufe geht die speziellere Norm der generelleren Norm stets vor, d. h., sie derogiert ihr (verdrängt sie). Dieser Grundsatz heißt „Lex specialis derogat legi generali“. Aus diesem Grund ist bspw. für Angestellte das Angestelltengesetz und nicht das ABGB anzuwenden. Weiters geht die später erlassene Norm der früher erlassenen Norm vor („Lex posterior derogat legi priori“).
Leitende Verfassungsprinzipien, Grundprinzipen der Bundesverfassung
↓
EU-Recht (primäres und sekundäres Gemeinschaftsrecht)
↓
Bundes- und Landesverfassung
↓
Bundesgesetze – Landesgesetze
↓
Verordnungen
↓
Urteile – Bescheide
1.1.3Grundprinzipien der Bundesverfassung
An der Spitze der österreichischen Rechtsordnung stehen die leitenden Verfassungsprinzipien bzw. Grundprinzipien der österreichischen Bundesverfassung (die sog. „Baugesetze“). Hierzu zählen das demokratische, das republikanische, das bundesstaatliche, das rechtsstaatliche, das gewaltenteilende und das liberale Prinzip. Gemäß Art. 44, Abs. 3 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ist jede „Gesamtänderung“ der Bundesverfassung, d. h. jede erhebliche Änderung eines Grundprinzips bzw. dieser Grundprinzipien – nach Vorliegen der nötigen Zweidrittelmehrheit im Parlament – einer verpflichtenden Volksabstimmung zu unterziehen.
1.1.4Primäres und sekundäres Unionsrecht
Das EU-Recht hat grundsätzlich Vorrang vor nationalem Recht. Der vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anerkannte Vorrang sowohl des primären Gemeinschaftsrechts (EU-Verträge, Beitrittsverträge) als auch des sekundären Gemeinschaftsrechts (EU-Verordnungen, EU-Richtlinien, Beschlüsse) gilt gegenüber allen nationalen Rechtsvorschriften bzw. Rechtsakten. Im Falle eines Widerspruchs wird das nationale Recht weder aufgehoben, noch tritt es außer Kraft, es ist allerdings nicht anzuwenden. Vom Vorrang des EU-Rechts nicht erfasst sind die oben genannten Grundprinzipien der nationalen Verfassungen der Mitgliedstaaten (sog. „Integrationsschranken“).
1.1.5Bundesverfassungsrecht und Landesverfassungsrecht
Das Verfassungsrecht umfasst alle Normen des Bundes und der Länder, die vom Gesetzgeber (Nationalrat bzw. Landtag) nach den erschwerten Voraussetzungen für das Zustandekommen von Verfassungsgesetzen – Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder (Präsenzquorum) und Zwei-Drittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Konsensquorum) – erzeugt wurden. Auf diese Weise zustande gekommene Normen werden als Verfassungsrecht im formellen Sinn bezeichnet. Davon zu unterscheiden ist das Verfassungsrecht im materiellen Sinn. Dieses umfasst jene Normen, die inhaltlich regeln, wer etwa für die Normerzeugung (Normerlassung) zuständig ist und wie dabei zu verfahren ist.
1.1.6Bundesgesetze – Landesgesetze
Die einfachen Bundes- bzw. Landesgesetze sind alle Normen, die vom Gesetzgeber mit einfacher (absoluter) Mehrheit der abgegebenen Stimmen bei der Anwesenheit von mindestens einem Drittel der Mitglieder beschlossen wurden.
Zwingendes Gesetzesrecht kann durch Parteienvereinbarung nicht verändert werden. Es kann einseitig oder zweiseitig zwingende Wirkung haben, zumeist entfaltet es – etwa zum Schutz des schwächeren Arbeitnehmers – einseitig zwingende Wirkung. Als nachgiebiges bzw. dispositives Recht werden Rechtsnormen bezeichnet, von denen die Parteien durch Vereinbarung abweichen können.
Verordnungen sind generelle Normen, die von Verwaltungsbehörden erlassen werden und sich an die Rechtsunterworfenen richten. Sie haben verbindliche Wirkung und dienen zumeist der Erläuterung oder Ergänzung von Gesetzen (Aus- oder Durchführungsverordnungen). Verordnungsvorschriften können – wie Gesetze – zwingendes oder dispositives Recht enthalten. Widerspricht eine Verordnung einem Gesetz, so ist sie gesetzwidrig. Dies ändert aber nichts an ihrer Rechtsverbindlichkeit. Die Rechtsverbindlichkeit gesetzwidriger Verordnungen wird erst mit der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof beseitigt.
Bescheide sind (Individual-)Entscheidungen der Verwaltungsbehörden (Bereich Öffentliches Recht), Urteile sind Entscheidungen der Gerichte über privatrechtliche Ansprüche (Bereich Privatrecht) bzw. strafrechtlich relevante Sachverhalte (Strafrecht). Sowohl Bescheide als auch Urteile sind prinzipiell Einzelfallentscheidungen, die an darin genannte, bestimmte Personen adressiert sind.
Wie bereits eingangs erwähnt, können diese Einzelfallentscheidungen im Anlassfall mit staatlicher Zwangsgewalt durchgesetzt werden.
2Relevante gesetzliche Regelungen
Paul Gabriel & Lukas Stärker
Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über für die arbeitsmedizinische Tätigkeit relevante gesetzliche Regelungen.
Die geltende Fassung von Gesetzen und Verordnungen kann über den Link www.ris.bka.gv.at abgerufen werden.
Tab. 1: Übersicht über für die arbeitsmedizinische Tätigkeit relevante gesetzliche Regelungen
Bezeichnung Gesetz/Verordnung | Abkürzung Gesetz/Verordnung | Inhalt |
Verordnung über die arbeitsmedizinische Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten | regelt die arbeitsmedizinische Ausbildung | |
ArbeitnehmerInnenschutzgesetz | ASchG | regelt den technischen Arbeitnehmerschutz für den privaten Bereich, ausgenommen daher 1.Arbeitnehmer der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, die nicht in Betrieben beschäftigt sind 2.Arbeitnehmer des Bundes in Dienststellen, auf die das Bundes-Bedienstetenschutzgesetz anzuwenden ist 3.Arbeitnehmer in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben im Sinne des Landarbeitsgesetzes 4.Hausgehilfen und Hausangestellte in privaten Haushalten 5.Heimarbeiter im Sinne des Heimarbeitsgesetzes enthält Regelungen über die Gefahrenermittlung und Beurteilung (Evaluierung) sowie entsprechende Dokumentation Sicherheitsvertrauenspersonen Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer im Bereich des Arbeitnehmerschutzes Arbeitsmittel, Arbeitsstoffe und Arbeitsstätten Eignungs- und Folgeuntersuchungen Sicherheitsfachkräfte Arbeitsmediziner Präventionszeiten den Arbeitsschutzausschuss die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers im Bereich des Arbeitnehmerschutzes |
Verordnung über arbeitsmedizinische Zentren | AMZ-VO | regelt die Voraussetzungen, die ein AMZ erfüllen muss in puncto ärztliche Leitung Fachpersonal Hilfspersonal Räumlichkeiten Ausstattung |
Verordnung über die Gesundheitsüberwachung am Arbeitsplatz | VGÜ | regelt den Umfang der Untersuchungen und die Untersuchungsintervalle für Eignungs- und Folgeuntersuchungen im Sinne der §§ 49ff. ASchG |
Verordnung über Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente | DOK-VO | regelt den Inhalt der Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente, enthält Erleichterungen für bestimmte Kleinarbeitsstätten |
Verordnung über den Schutz der Arbeitnehmer/innen bei Bildschirmarbeit | BS-V | regelt Schutzmaßnahmen bei Bildschirmarbeit im privaten Bereich: Ausgestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen: Bildschirm und Tastatur, Arbeitstisch und Arbeitsfläche, Arbeitsstuhl, Belichtung und Beleuchtung, Strahlung Bildschirmarbeitsplatzevaluierung Untersuchungen, Sehhilfen Informations- und Unterweisungspflichten für Dienstgeber |
Arbeitsmittelverordnung | AM-VO | enthält Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer bei der Benutzung von Arbeitsmitteln: Regelungen für die Benutzung bestimmter Arbeitsmittel Regelungen über die Verwendung von Leitern und Gerüsten Regelungen über die Beschaffenheit von Arbeitsmitteln Regelungen über das Inverkehrbringen von Arbeitsmitteln Regelungen über die Aufstellung und den Betrieb von Arbeitsmitteln |
Arbeitsstättenverordnung | AStV | legt Sicherheitsanforderungen an Arbeitsstätten und an Gebäude auf Baustellen fest, Regelungen über Fluchtwege, Anforderungen an Arbeitsräume, sanitäre Vorkehrungen und Sozialeinrichtungen, Erste Hilfe und Brandschutz |
Verordnung über biologische Arbeitsstoffe | VbA | enthält Regelungen über den Schutz der Arbeitnehmer vor Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe, einschließlich unkonventionellen Agenzien, die mit transmissiblen spongiformen Enzephalopathien assoziiert werden, Zuordnungspflicht in Organismenlisten, Verpflichtung der Dienstgeber zur Ermittlung und Beurteilung der Gefahren bei beabsichtigter Verwendung, Regelungen über Hygiene, Expositionsvermeidung, Impfung, Ausstattung, persönliche Schutzausrüstung, sichere Handhabung |
Grenzwerteverordnung | GKV | regelt Grenzwerte für Arbeitsstoffe und krebserzeugende Arbeitsstoffe |
Bundes-Bedienstetenschutzgesetz | B-BSG | enthält Regelungen des technischen Arbeitnehmerschutzes für in Dienststellen beschäftigte Bundesbedienstete |
Bundes-Bildschirmarbeitsverordnung | B-BSV | regelt Schutzmaßnahmen bei Bildschirmarbeit für in Dienststellen beschäftigte Bundesbedienstete: Ausgestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen: Bildschirm und Tastatur, Arbeitstisch und Arbeitsfläche, Arbeitsstuhl, Belichtung und Beleuchtung, Strahlung Bildschirmarbeitsplatzevaluierung Untersuchungen, Sehhilfen Informations- und Unterweisungspflichten für Dienstgeber |
Landesbedienstetenschutzgesetze der einzelnen Bundesländer | enthalten Regelungen des technischen Arbeitnehmerschutzes für in Dienststellen beschäftigte Landesbedienstete | |
Strahlenschutzgesetz | StrSchG | enthält Regelungen über Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen einschließlich ihrer Nachkommenschaft vor Schäden durch ionisierende Strahlen, Strahlenschutzuntersuchungen |
Strahlenschutzverordnung | StrSchVO | enthält Regelungen über Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen einschließlich ihrer Nachkommenschaft vor Schäden durch ionisierende Strahlen |
Arbeitszeitgesetz | AZG | regelt Normalarbeitszeiten, Höchstarbeitszeitgrenzen, Arbeitszeitflexibilisierungen, Ruhepausen, Nachtarbeit, tägliche Ruhezeiten, Überstundenzuschlag, Gleitzeit |
Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz | KA-AZG | regelt Normalarbeitszeiten, Höchstarbeitszeitgrenzen, Ruhepausen, tägliche Ruhezeiten und Ausgleichsruhezeiten, Nachtarbeit für Angehörige von Gesundheitsberufen, die in Krankenanstalten tätig sind |
Arbeitsruhegesetz | ARG | regelt die wöchentliche Ruhezeit und die Feiertagsruhezeit |
Arbeitsruhegesetz-Verordnung | ARG-VO | regelt Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsruhe |
Bäckereiarbeiter/innengesetz | BäckAG | enthält die arbeitsrechtlichen Spezialregelungen für Bäckereiarbeiter in den Bereichen Arbeitszeit, Nachtarbeit, wöchentliche Ruhezeit |
Bundes-Verfassungsgesetz | B-VG | regelt in den Art. 10–15 und 21, wer in welcher Angelegenheit zur Gesetzgebung (Bundesgesetzgeber oder Landesgesetzgeber) und Vollziehung (Bundes-Verwaltungsbehörden oder Landes-Verwaltungsbehörden) zuständig ist |
Arbeitsverfassungsgesetz | ArbVG | enthält Regelungen über Kollektivverträge Betriebsvereinbarungen Aufgaben, Rechte und Pflichten des Betriebsrates |
Angestelltengesetz | AngG | enthält die wichtigsten Regelungen für Angestellte: Kündigungsfristen und Kündigungstermine Entgeltfortzahlungsregelungen Konkurrenzverbot und Konkurrenzklausel Dienstzeugnis |
Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz | AVRAG | enthält Regelungen über Betriebsübergänge Verpflichtung des Dienstgebers zur Ausstellung von Dienstzetteln einen speziellen Kündigungsschutz für angestellte Arbeitsmediziner und Sicherheitsfachkräfte Ausbildungskostenrückersatz Bildungskarenz Sterbebegleitung |
Behinderteneinstellungsgesetz | BEinstG | enthält Regelungen über die Beschäftigung von Dienstnehmern mit Behinderung die Verpflichtung für Dienstgeber, pro 25 Dienstnehmern einen begünstigten, d. h. zu mehr als 50 %behinderten Dienstnehmer, einzustellen besonderen Kündigungsschutz für begünstigte,d. h. zu mehr als 50 % behinderte, Dienstnehmer Behindertenvertrauenspersonen |
Arbeitsinspektionsgesetz | ArbIG | regelt die Befugnisse der Arbeitsinspektorate |
Mutterschutzgesetz | MSchG | enthält die einschlägigen Regelungen zum Schutz werdender Mütter zum Anspruch auf Karenz |
3ArbeitnehmerInnenschutzgesetz
Bernhard Rupp
Der Erwerbsarbeit kommt in unserer Gesellschaft ein hoher Stellenwert zu. Sie dient nicht bloß dazu, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, sondern ist auch ein Mittel, um ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Kurt Lewin (1920) hat darauf hingewiesen, dass Arbeit den Arbeitenden oftmals nicht bloß Mühe abverlangt, sondern auch und Sinn stiftet und einen positiven „Lebenswert“ darstellt. Bei unselbstständiger Erwerbstätigkeit (insbesondere als Arbeiter oder Angestellter), besonders in der seit mehr als 100 Jahren vorherrschenden Form der hochgradig arbeitsteiligen Erwerbsarbeit ist, ungeachtet der erforderlichen Mühewaltung oder erfreulichen Lebenswertschöpfung, die Einbindung in die vorgegebene Arbeitsorganisation und die Verpflichtung zur Verwendung der bereitgestellten Arbeitsmittel des jeweiligen Arbeitgebers besonders erwähnenswert.
Diese Ausprägungen von starker Fremdbestimmtheit der Arbeitnehmer lösen eine besondere Schutzbedürftigkeit aus. Arbeitnehmer können sich die Arbeitsprozesse, Arbeitsplätze und Werkzeuge normalerweise nicht selbst aussuchen und müssen, als oftmals wirtschaftlich Schwächere, belastende oder gar gesundheitsgefährdende Arbeitsumstände „in Kauf nehmen“.
Arbeitgeber sind aus ihrer sogenannten „Fürsorgeverpflichtung“ für ihre Arbeitnehmer arbeitsvertraglich verpflichtet, deren Leben, Gesundheit und Sittlichkeit möglichst zu schützen (siehe § 1157 ABGB; § 18 AngG).
Die Herstellung derartiger lebens-, gesundheits- und sittlichkeitssichernder Arbeitsumstände könnte also theoretisch von Arbeitnehmer eingeklagt werden. Aus Sorge um den eigenen Arbeitsplatz klagen Arbeitnehmer ihre Arbeitgeber jedoch höchst selten auf Einhaltung derartiger vertraglicher Schutzverpflichtungen.
Auf diesen Umstand hat der österreichische Gesetzgeber in den letzten Jahrzehnten lebensnah reagiert und die Last der Rechtsdurchsetzung von den Schultern der Arbeitnehmer genommen. Es wurde über die vorgenannten vertragsrechtlichen Bestimmungen gleichsam ein behördliches Kontroll-, Beratungs- und Bestrafungssystem gestülpt.
Der Gesetzgeber hat nicht darauf vertraut, dass Arbeitgeber – wie in Psalm 1:2 zu lesen ist – in jedem Falle „Lust am Gesetz“ entwickeln und mit Freude die positiven gesundheitlichen, betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Früchte ihres gesetzeskonformen Handelns beobachten.
Vielmehr ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass klare gesetzliche Verpflichtungen, Anordnungen und Strafbestimmungen bei Übertretungen hilfreicher sein werden, den Schutz von Arbeitnehmern zu verbessern. Diese Einschätzung wurde zuletzt durch die Zweite Europäische Unternehmensbefragung über neue und aufkommende Risiken (ESENER-2 Studie) der Europäischen Arbeitssicherheitsagentur EU-OSHA bestätigt.
Als Hauptgründe, warum sich in der EU (28 Mitgliedstaaten) Manager mit Fragen von Sicherheit und Gesundheitsschutz im Betrieb beschäftigen, wurden
das Erfüllen einer gesetzlichen Verpflichtung (85 % der Befragten),
das Erfüllen von Erwartungen seitens der Beschäftigten oder ihrer Vertreter (79 % der Befragten) und
die Vermeidung von Strafen seitens der Arbeitsinspektion (78 % der Befragten) genannt.
Die Regelungsdichte des österreichischen Arbeitnehmerschutzrechtes – insbesondere seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union – hat in den letzten Jahren bei in Österreich ansässigen Unternehmen nicht zur Steigerung der „Lust am Gesetz“ geführt. Im Gegenteil, es wurden verstärkt Unlustgefühle wahrgenommen, die in Diskussionen über – im Vergleich zum EU-Standard „übererfüllende“ – bessere/schärfere nationale Schutzregelungen mündeten. Die „Gold Plating“-Debatte verfolgte den Ansatz der Zurücknahme von über die unionsrechtlichen Mindestvorgaben hinausgehenden Regelungen. Es sollen in ausgewählten Bundesgesetzen unnötige Belastungen für die betroffenen Normadressaten beseitigt werden. Seit Ende des Jahres 2017 wurden vonseiten der Interessenvertretungen der Industrie auch Wunschlisten zur „Vereinfachung“ von Arbeitnehmerschutzregelungen erstellt und auf interessenpolitischer Ebene kontroversiell diskutiert.
Im Regierungsprogramm 2020–2024 der österreichischen Bundesregierung finden sich weiterhin „Gold-Plating“-Überlegungen. Festgeschrieben ist die intendierte „Vermeidung von nachteiliger Übererfüllung von EU-Regeln bei der nationalen Umsetzung („Gold-Plating“) unter Berücksichtigung von Schutznormen aus dem Sozial- und Umweltbereich (z. B. Arbeitnehmerschutzbestimmungen) auf Basis politischer Beschlüsse, die aus gutem Grund in Österreich strenger sind als anderswo“.
Weiters wurde es im Jahr 2018 durch den Gesetzgeber mit einer Novelle zum AZG und zum ARG möglich gemacht, die Tages- und Wochenarbeitszeit auszudehnen, sodass Unternehmen ihre Mitarbeiter bei entsprechendem Bedarf bis zu 12 Stunden am Tag bzw. 60 Stunden in der Woche beschäftigten können. Auch diese Neuerungen wurden und werden interessenpolitisch und aus medizinischer Sicht kontroversiell diskutiert.
Darüber hinaus war es der Wunsch der Wirtschaft, die Arbeitsinspektorate mögen mehr beraten und weniger strafen. Auch diesem Wunsch wurde im Grundsatz durch eine Entschärfung des Verwaltungsstrafgesetzes (§ 33a VStG) entsprochen.
Die Sorge der Unternehmen, bestraft zu werden, ist mit Hinweis auf die dünne Personaldecke der Arbeitsinspektion allerdings zu relativieren. Unternehmen können derzeit davon ausgehen, dass ihre Betriebe im Schnitt alle 5–6 Jahre einmal vom Arbeitsinspektorat besucht werden. Schleppende bzw. Nicht-Nachbesetzungen von Arbeitsinspektionsorganen bei gleichzeitig steigenden Arbeitnehmerzahlen bringen Österreich in die Situation, dass das von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und vom Europäischen Parlament als Richtwert empfohlene Verhältnis der Arbeitsinspektoren zur Zahl der Arbeitnehmer von 1:10.000 in industriellen Marktwirtschaften nicht mehr erreicht wird.1
3.2Die Rolle der Europäischen Union im Arbeitnehmerschutz
„Sicherheit und Gesundheitsschutz“ ist einer jener Bereiche, in dem die Europäische Union ihren Einfluss weitestgehend in der Europäischen Union geltend gemacht hat.
Artikel 153 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union2 gibt der EU die Befugnis, Rechtsvorschriften (Richtlinien) im Bereich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz zu erlassen, um die Maßnahmen der Mitgliedstaaten zu unterstützen und zu ergänzen.
In der „Rahmenrichtlinie über den Arbeitsschutz“3 werden die wichtigsten Grundsätze für die Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz festgelegt. Diese wichtige Regelung für die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit etablierte nicht nur Mindestanforderungen in der EU, sondern etablierte auch das Konzept der Risikobewertung in die EU-Regelungen. Diese Mindestvorschriften im Bereich der Gesundheit und der Sicherheit in der gesamten Europäischen Union erlauben es den Mitgliedstaaten jedenfalls, striktere Maßnahmen einzuführen oder beizubehalten. Die Rahmenrichtlinie wird durch zahlreiche weitere Richtlinien ergänzt, die sich auf bestimmte Aspekte der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz konzentrieren.
Alle fünf Jahre muss die EU-Kommission die praktische Umsetzung des Rechtsrahmens der Arbeitsschutzvorschriften evaluieren.
Um Arbeitnehmer in der EU besser vor arbeitsbedingten Unfällen und Erkrankungen zu schützen, hat die Europäische Kommission überdies verschiedene strategische und politische Dokumente veröffentlicht:
Mit der im Jahr 2017 angenommenen Mitteilung der Kommission „Sicherere und gesündere Arbeitsbedingungen für alle – Modernisierung der Rechtsvorschriften und Maßnahmen der EU im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz“4 wurden wichtige Maßnahmen in Schwerpunktbereichen des Arbeitsschutzes vorgeschlagen.
Im strategischen Rahmen der EU für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2014–20205 werden die wichtigsten Herausforderungen und strategischen Ziele für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ermittelt sowie Schlüsselmaßnahmen und die erforderlichen Instrumente vorgestellt.
Gemeinschaftsstrategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2007–20126: Steigerung der Arbeitsplatzqualität und der Arbeitsproduktivität.
Gemeinschaftsstrategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2002–20067: Anpassung an den Wandel von Arbeitswelt und Gesellschaft.
Die Europäische Kommission arbeitet mit den nachstehend aufgeführten Agenturen zusammen, um Informationen zu verbreiten, Orientierungshilfen zu bieten und ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld zu fördern:
1.Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA)8
2.Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound)9
Auch etablierte Ausschüsse von Sachverständigen, Vertretern von Mitgliedstaaten oder Sozialpartnern tragen wesentlich zur Entwicklung, Umsetzung und Überwachung der EU-Rechtsvorschriften zu Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz bei:
Beratender Ausschuss für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz (ACSH)10
Ausschuss Hoher Arbeitsaufsichtsbeamter (SLIC)11
Ausschuss für Risikobeurteilung (RAC) der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA)12
Wissenschaftlicher Ausschuss für Grenzwerte berufsbedingter Exposition (SCOEL)13
3.2.2Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA)
Die 1951 gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der Grundstein für die spätere Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und dann die Europäische Union (EU), brachte die europäische Kohle- und Stahlindustrie zusammen. Dabei wurden zwei der gefährlichsten Arbeitsumgebungen jener Zeit plötzlich in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. In den 1980er-Jahren gewannen Aktivitäten für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit in Europa an Dynamik, Anfang der 1990er-Jahre wurden in der EU allerdings noch jährlich 4 Millionen Arbeitsunfälle gemeldet, 8.000 davon mit Todesfolge. Als Reaktion darauf rief die Europäische Kommission eine europaweite Kampagne ins Leben, um Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sowie die nachteiligen Auswirkungen unsicherer Arbeitsumgebungen in den Blickpunkt zu rücken. Sie erklärte das Jahr 1992 zum „Europäischen Jahr für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz“. Das Europäische Jahr 1992 und die steigende Zahl von Rechtsvorschriften über Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit bildeten schlussendlich die Grundlage für die Einrichtung der Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA). Der Beschluss zur Einrichtung der Agentur wurde auf einem Ratsgipfel im Herbst 1993 gefasst. Im Jahr 1994 wurde die Verordnung zur Errichtung der EU-OSHA14 verabschiedet.
3.2.3Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound)
Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) ist eine dreigliedrige Agentur der Europäischen Union mit dem Auftrag, Fachwissen zur Unterstützung der Erarbeitung besserer sozial-, beschäftigungs- und arbeitspolitischer Strategien bereitzustellen. Eurofound wurde im Jahr 1975 durch die Verordnung (EWG) Nr. 1365/75 des Rates gegründet, um zur Planung und Gestaltung besserer Lebens- und Arbeitsbedingungen in Europa beizutragen. Ende des Jahres 2018 wurde eine neue Gründungsverordnung15 angenommen, die 2019 in Kraft trat.
Ziel von Eurofound ist es, die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU sowie die Mitgliedstaaten und Sozialpartner auf der Grundlage von vergleichenden Informationen, Forschungsarbeiten und Analysen bei der Gestaltung und Umsetzung sozial- und beschäftigungspolitischer Maßnahmen sowie bei der Förderung des sozialen Dialogs zu unterstützen.
3.3Die Rolle der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) im Arbeitnehmerschutz
3.3.1Internationale Arbeitsorganisation ILO16
Die International Labour Organisation ILO (mit Sitz in Genf) wurde 1919 mit dem Ziel gegründet, weltweite Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, zu sozialem Ausgleich und sozialer Gerechtigkeit beizutragen sowie die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen zu unterstützen. Seit 1946 ist die ILO eine Sonderorganisation der UN.
Alle Organe der ILO sind dem Prinzip der Dreigliedrigkeit verpflichtet, d. h. sie sind jeweils mit Vertretern der Regierungen, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer besetzt.
1946 wurde die ILO die erste Sonderorganisation der neu gegründeten Vereinten Nationen. 1969, als sich die Gründung der ILO zum fünfzigsten Mal jährte, erhielt sie den Friedensnobelpreis.
Neben dem vorgenannten sozialen Bestreben zur Setzung von Arbeitsnormen, gibt es aber auch eine sehr pragmatische bzw. handelspolitische Absicht: Weltweit anerkannte Sozialstandards (Kernarbeitsnormen) sollen verhindern, dass sich einzelne Teilnehmer am internationalen Handel durch Abbau von Arbeitnehmerrechten und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen Marktvorteile verschaffen.
Die Kernarbeitsnormen/-konventionen gelten als Menschenrechte im engeren Sinne und wurden im Juni 1998 durch die „Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit“ auf der 86. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz ohne Gegenstimme angenommen.
Die zehn Kernarbeitsnormen der IAO sind folgende Übereinkommen:
(Nr. 29) über Zwangs- oder Pflichtarbeit, 1930
(Nr. 87) über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, 1948
(Nr. 98) über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen, 1949
(Nr. 100) über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte, 1951
(Nr. 105) über die Abschaffung der Zwangsarbeit, 1957
(Nr. 111) über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958
(Nr. 138) über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung, 1973
(Nr. 182) über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999
NEU: (Nr. 155) über den Arbeitsschutz, 1981
NEU: (Nr. 187) über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz, 2006
Österreich trat der Internationalen Arbeitsorganisation erstmals 1919 bei und war bis 1938 Mitglied. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte 1947 die Wiederaufnahme. Österreich hat bislang neun der zehn Kernarbeitsnormen und insgesamt 54 Übereinkommen ratifiziert, 43 davon sind heute in Kraft.17
3.3.2Rechtsdurchsetzung18
Zur Durchsetzung der Menschenrechte bei der ILO bestehen verschiedene Verfahren19:
1.Die Berichtsverfahren gemäß Art. 19 V e, Art. 22 und Art. 23 ILO-Verfassung haben sich als wirksam erwiesen, vermutlich aufgrund der langen Erfahrung der Organe und der durch die Zulassung der Öffentlichkeit erzeugten „Bloßstellung“ und Schmach eines Mitgliedstaates der ILO, welches die Verpflichtungen nicht einhält.
2.Mit einem Beschwerdeverfahren nach Art. 26 der ILO-Verfassung kann jeder Mitgliedstaat gegen einen anderen Mitgliedstaat eine Klage einreichen, der nach seiner Ansicht die Durchführung eines nach den vorstehenden Artikeln ratifizierten Übereinkommens nicht in befriedigender Weise sicherstellt. Die darauffolgenden Untersuchungen haben Ähnlichkeit mit einem Gerichtsverfahren, es können z. B. Zeugen einvernommen werden. Es kann auch ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden, der die strittigen Fragen zu prüfen und darüber zu berichten hat. Allerdings ist das Verfahren in der Praxis kaum relevant.
3.Gemäß Art. 24 der ILO-Verfassung können bestimmte Berufsvereinigungen des belangten oder irgendeines anderen Mitgliedstaates eine Verbandsbeschwerde einreichen. Daraufhin wird diese Regierung eingeladen, sich in einer ihr geeignet erscheinenden Weise zur Sache zu äußern.
4.Wenn andere Maßnahmen fehlgeschlagen sind, können nach Art. 33 der ILO-Verfassung unter gewissen Voraussetzungen Zwangsmaßnahmen verfügt werden.
3.4Grundbausteine des Arbeitnehmerschutzes
Die Rechtsvorschriften des Arbeitnehmerschutzes sollen den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer bei ihrer beruflichen Tätigkeit sicherstellen. Der Gesetzgeber legt Pflichten (Gebote oder Verbote) fest, für deren Umsetzung und Einhaltung grundsätzlich die Arbeitgeber zu sorgen haben.
Arbeitnehmerschutzregeln werden üblicherweise nach den Gefahren, die verhindert werden sollen, in
technischen ArbeitnehmerInnenschutz,
Arbeitszeitschutz und
Verwendungsschutz
gegliedert.
Die entsprechenden Rechtsquellen für diese Arbeitnehmerschutzregeln sind zahlreich und unübersichtlich.
Für Beschäftigte in der Privatwirtschaft finden sich wesentliche grundsätzliche Bestimmungen zum technischen ArbeitnehmerInnenschutz (etwa zu Arbeitsstätten und Baustellen, Arbeitsmitteln oder Arbeitsstoffen) im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) und in den einschlägigen Verordnungen zum ASchG. Das ASchG enthält auch Regelungen zur Gesundheitsüberwachung und zur Organisation der Präventivdienste (Sicherheitsfachkräfte, Arbeitsmediziner) sowie zu weiteren Behörden und Verfahren im Arbeitsschutzkontext.
Die Regelungen des Arbeitszeitschutzes (z. B. Arbeitszeitgesetz, Arbeitsruhegesetz) zielen vor allem auf die Verhinderung von physischer oder psychischer Überforderung von Arbeitnehmern durch überlange Arbeitszeiten ab. Die Regelungen umfassen beispielsweise die höchstzulässige Arbeitszeit sowie Vorschreibungen von Arbeitspausen und Ruhezeiten.
Der Verwendungsschutz umfasst besonders ausgestaltete Regelungen für einzelne Gruppen von besonders schutzwürdigen Arbeitnehmern. Im Regelfall umfassen diese Sonderschutzregelungen abgestufte Gefahren- und Arbeitszeitschutzregelungen, beispielsweise für bestimmte Altersgruppen (Kinder/Jugendliche), Frauen (Schwangere, Mütter), bestimmte Berufsgruppen (Lenker, Bäcker) oder für Arbeitnehmer mit Behinderungen bzw. Erkrankungen.
In Österreich wurden bereits im Jahr 1786 die ersten Sonderschutzregelungen für arbeitende Kinder erlassen (Handbillett von Kaiser Josef II. an Graf Pergen).
Die Rechtsvorschriften des Arbeitnehmerschutzes sollen den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer bei ihrer beruflichen Tätigkeit gewährleisten. Durch menschengerechte Arbeitsbedingungen und einen hohen Sicherheitsstandard in den Betrieben sollen die volkswirtschaftlichen und betrieblichen Folgekosten etwa von Arbeitsunfällen und berufsbedingten Erkrankungen gesenkt werden.
Der Gesetzgeber legt Pflichten – d. h. Gebote oder Verbote – fest, für deren Umsetzung bzw. Einhaltung die Arbeitgeber zu sorgen haben.
Das grundlegende Ziel des modernen Arbeitnehmerschutzes ist Prävention, das heißt, nicht erst zu handeln, wenn ein Schadensfall (Unfall) bereits eingetreten ist, sondern vorsorglich Maßnahmen zu setzen, die die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadensfalles minimieren.
Die dafür erforderlichen Arbeitsplatzevaluierungen (auch Gefahrenevaluierungen genannt) sind eine Verpflichtung aller Arbeitgeber, um potenzielle Gefährdungen und Belastungen im Zusammenhang mit der Arbeit zu ermitteln, zu beurteilen und geeignete Maßnahmen dagegen festzulegen.
Dies muss in der Folge in den sogenannten Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumenten festgehalten und bei Bedarf dem Arbeitsinspektorat zur Verfügung gestellt werden.
Grundidee der Evaluierung ist es, dass sich Arbeitgeber eigenverantwortlich um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz ihrer Arbeitnehmer kümmern, bevor ein Schadensfall eintritt. Die Evaluierung soll dabei helfen, die Sicherheit der Arbeitnehmer als wesentlichen Bestandteil der Betriebskultur zu etablieren (www.eval.at).
Wurden auf Grundlage der Arbeitsplatzevaluierungen potenzielle Gefährdungen und Belastungen im Zusammenhang mit der Arbeit ermitteln und beurteilt, sind geeignete Maßnahmen gegen die festgestellten Gefahren festzulegen.
Aus dem ASchG lässt sich für die zu setzenden Maßnahmen zur Gefahrenverhütung eine Reihenfolge ableiten, die in allgemeiner Form auch als „STOP-Prinzip“ bekannt ist.
Das STOP-Prinzip behandelt neben der Vermeidung von Risiken und der Gefahrenbekämpfung an der Quelle die Forderung, dass Maßnahmen des kollektiven Gefahrenschutzes der Vorrang vor Maßnahmen des individuellen Gefahrenschutzes zu geben ist. Der Begriff der
„Gefahr“ ist im ASchG weit gefasst und reicht von den unmittelbar wirkenden Gefahren (z. B. Gefahrenstellen an Maschinen) bis zu den arbeitsbedingten physischen und psychischen Belastungen, die zu Fehlbeanspruchungen führen können.
„STOP“ steht für:
Substitution – Es ist zu prüfen, ob eine Gefahr beseitigt werden kann, z. B. indem ein gefährlicher Arbeitsstoff durch einen ungefährlichen oder weniger gefährlichen ersetzt (substituiert) wird.
Technik: Es ist zu prüfen, ob man den Menschen von einer Gefahr trennen kann, z. B. durch eine Schutzeinrichtung an einer Maschine, oder ob die Gefahr minimiert werden kann, z. B. durch Absaugung eines gesundheitsgefährdenden Arbeitsstoffes.
Organisation: Es ist zu prüfen, ob durch eine organisatorische Maßnahme die Wirkung der Gefahr auf den Menschen minimiert werden kann. Dazu zählen insbesondere Maßnahmen, um
die Anzahl von Personen im Gefahrenbereich auf das erforderliche Mindestmaß zu reduzieren
die Aufenthaltsdauer von Personen im Gefahrenbereich zu beschränken
den Zutritt zu Gefahrenbereichen auf bestimmte Personengruppen (z. B. mit besonderer Fachkunde) zu beschränken
Personenbezogen: Diese Maßnahmen sind gegebenenfalls ergänzend zu technischen oder organisatorischen Maßnahmen („T“, „O“) anzuwenden. Dazu zählen Maßnahmen wie die Beachtung von Anweisungen zum richtigen Umgang mit Gefahren bzw. zum Verhalten in Gefahrenbereichen und die Verwendung persönlicher Schutzausrüstung. Information und Unterweisung sind hier als Methoden anzusehen, um die Arbeitnehmer über gesetzte Maßnahmen zu informieren (z. B. für die Einhaltung einer organisatorischen Maßnahme) und in Verhaltensweisen zu schulen.
3.5Der Aufbau des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes und Aktuelles zu Interpretationsfragen
Es sind für Österreich mehrere mehr oder weniger rezente Broschüren zur Einführung in den Arbeitnehmerschutz und zu Details verfügbar.
Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) als die grundlegende Rechtsvorschrift ist in Abschnitte gegliedert. Am Anfang werden grundsätzliche Fragen behandelt, der Hauptteil beschäftigt sich mit Regelungen zu Arbeitsstätten und Baustellen; Arbeitsmitteln und Arbeitsstoffen; Arbeitsvorgängen; den Präventivdiensten; Behörden und Verfahren und zum Schluss hin mit Strafbestimmungen bei Verletzung von Schutzbestimmungen.
Etwas näher betrachtet, beschreibt das Gesetz in den ersten Paragrafen den eigenen Geltungsbereich (der im Wesentlichen privatwirtschaftliche Unternehmen und Betriebe umfasst – der öffentliche Dienst etwa hat eigene Schutzgesetze), definiert wesentliche Fachbegriffe und beschreibt Grundsätzliches zu den Pflichten der Arbeitgeber in der betrieblichen Präventionsarbeit. Da Maßnahmen des Arbeitnehmerschutzes strukturelle, prozedurale und technische Aspekte umfassen, wurde im ASchG rechtstechnisch der pragmatische Weg gewählt, im ASchG selbst nur in Umrissen die Regelungseckpfeiler einzuschlagen.
Um bei präventionstechnischen Fortschritten (das ASchG enthält zahlreiche Verweise auf den jeweiligen „Stand der Technik“ – die Definition findet sich in § 2, Abs. 2 ASchG), die national umgesetzt werden sollten, nicht das ASchG ändern zu müssen, finden sich am Ende der jeweils relevanten Abschnitte des Gesetzes Bestimmungen, dass die Detailschutzregelungen vom zuständigen Minister durch Verordnung (also ohne Befassung des Parlaments) vergleichsweise rasch festgelegt beziehungsweise geändert werden können.
Die Regelungen des ASchG sollen möglichst von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen verstanden und richtig angewendet werden können. Die leichte Lesbarkeit und Verständlichkeit der Vorschriften ist dafür eine Grundvoraussetzung. Über weite Strecken ist dies auch gelungen, es gibt kaum die Notwendigkeit für Interpretationen unklarer Vorschriften.
Hin und wieder sind jedoch Diskussionen, Interpretationen und neue Sichtweisen unausweichlich. Als Beispiel sei hier § 81, Abs. 3, Z 8 ASchG angeführt. Nach dieser Bestimmung haben Arbeitgeber Arbeitsmediziner und erforderlichenfalls weitere geeignete Fachleute in Fragen des Arbeitsplatzwechsels sowie der Eingliederung und Wiedereingliederung Behinderter in den Arbeitsprozess hinzuzuziehen. Fraglich war, ob die Wiedereingliederung von Langzeit-Erkrankten ebenfalls eine als Aufgabe der Arbeitsmediziner im Sinne des Gesetzes abzusehen ist, weil ja das Gesetz von Behinderten spricht. Nach dem Willen des Gesetzgebers20 und der zuständigen Behörde (Sozialministerium, Zentralarbeitsinspektorat) ist zur Interpretation des ASchG der Status als sogenannter begünstigter Behinderter (§ 2 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG)) nicht maßgebend.
Nach der Interpretation der einschlägigen AschG-Regelungen durch das Sozialministerium (mit Schreiben vom 13.03.2013 an die Ärztekammer Wien, GZ: BMASK-461.302/0008-VII/A/3/2013) ist davon auszugehen, dass gegebenenfalls auch die Beratung und Unterstützung der Wiedereingliederung von Arbeitnehmern nach Langzeitkrankenständen in den Aufgabenbereich der Arbeitsmediziner fällt, wobei dies im Einzelfall zu beurteilen sind wird. Eine längerfristige ständige Begleitung am Arbeitsplatz wird den gesetzlichen Auftrag der Arbeitsmediziner nach § 81 ASchG aber wohl überschreiten. Weiters merkt die Behörde noch an, dass der Begriff „Begleitung“ (der Wiedereingliederung von Langzeiterkrankten) missverständlich sein könnte, weil diese nicht nur in den Aufgabenbereich der Arbeitsmediziner fallen kann, sondern auch Aufgabe der Gesamtorganisation unter Verantwortung der Arbeitgeber ist (§ 3 ASchG). Als wirkungsvoll erweisen sich nach Ansicht der Behörde hierbei mehrjährige ganzheitliche betriebliche Wiedereingliederungsmaßnahmen. Die Arbeitsmediziner können entsprechend zur Planung und Konzepterstellung aus arbeitsmedizinischer Sicht beitragen.
3.6Arbeitsmedizinischer Fachdienst21
In Österreich ist ein zunehmender Mangel an Arbeitsmedizinern (AMED) zu beobachten, in manchen Arbeitsstätten kann deshalb eine ordnungsgemäße arbeitsmedizinische Präventivdienstbetreuung nicht mehr ausreichend gewährleistet werden, teilweise finden Arbeitgeber keine AMED, die sie zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Präventivdienstbetreuung bestellen können.
Arbeitsmedizinische Präventionsarbeit in den Betrieben ist eine Verpflichtung aufgrund der Richtlinie 89/391/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit.
Arbeitgeber sind gemäß § 79 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG), BGBl. Nr. 450/1994, verpflichtet, AMED für die arbeitsmedizinische Betreuung ihrer Arbeitsstätten zu bestellen oder arbeitsmedizinische Zentren in Anspruch zu nehmen.
Arbeitsstätten von Kleinbetrieben mit bis zu 50 Beschäftigten können auch durch Präventionszentren der Unfallversicherungsträger arbeitsmedizinisch betreut werden. Auch diese Einrichtungen benötigen ausgebildete AMED, die weder derzeit noch in naher Zukunft in ausreichender Zahl verfügbar sein werden. Seit 1.1.200222 besteht zwar die Möglichkeit, auch die Tätigkeit sonstiger Fachleute (insbesondere der Arbeitspsychologie) bis zu 25 % in die Gesamtpräventionszeit einzurechnen. Jedenfalls 35 % der jährlichen Präventionszeit müssen aber durch AMED erbracht werden, 40 % sind der sicherheitstechnischen Betreuung vorbehalten.
Die ASchG-Novelle 202223 (in Kraft seit 1.7.2022) hat nun die Rechtsgrundlage geschaffen, AMED durch den Einsatz von arbeitsmedizinischen Fachdiensten (AFa) zu unterstützen.
Die unter Leitung der AMED erbrachte AFa-Tätigkeit ist in die arbeitsmedizinische Präventionszeit bis zu 30 % anrechenbar. Begleitend erfolgten auch Anpassungen der Beteiligungsrechte von Sicherheitsvertrauenspersonen und Belegschaftsorganen hinsichtlich der AFa-Einbeziehung sowie des Benachteiligungsverbotes und Kündigungsschutzes auch für AFa im Arbeitsverfassungsgesetz und Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz.
Als AFa dürfen nur Personen mit Ausbildungsabschluss in einem der gehobenen Gesundheitsberufe (Gesundheits- und Krankenpflegedienst, medizinisch-technischer Dienst) beschäftigt werden, die über zumindest 2-jährige Berufspraxis verfügen. Zudem müssen sie eine AFa-Zusatzausbildung (Lehrgang an einer Akademie für Arbeitsmedizin) absolviert haben. In arbeitsmedizinischen Zentren können AFa als Fachpersonal eingesetzt werden.
In Bürobetrieben mit bis zu 50 Arbeitnehmern können AFa erforderlichenfalls für arbeitsmedizinische Folge- und Anlassbegehungen eingesetzt werden (dies gilt auch für die Präventionszentren der Unfallversicherungsträger). Die Erstbegehung der Büroarbeitsplätze (oder vergleichbaren Arbeitsplätze) muss aber jedenfalls von AMED durchgeführt werden.
AFa haben an der Zusammenarbeit der Präventivfachkräfte und Belegschaftsorgane mitzuwirken. Besteht ein Arbeitsschutzausschuss, sind AFa erforderlichenfalls den Sitzungen beizuziehen. Über die AFa-Tätigkeit sind Aufzeichnungen zu führen. Werden gemeinsame Aufzeichnungen mit den AMED geführt, muss ersichtlich sein, welche Tätigkeiten von AFa durchgeführt wurden.
Die Anerkennung ausländischer AFa-Berufsqualifikationen (EU/EWR/Schweiz) erfolgt durch die Österreichische Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention. Die Anerkennung von in Drittstaaten erworbenen Berufsqualifikationen ist möglich, wenn betroffene Personen als Arbeitnehmer nach Österreich entsendet oder grenzüberschreitend überlassen werden.
Literatur
Haas S./Busch M./Kerschbaum J./Türscherl E./Weigl M. (2012): Health in All Policies am Beispiel der
die Kinder- und Jugendgesundheit (Wissen 9), hg. v. GÖG/FGÖ. Gesundheit Österreich/Geschäftsbereich Fonds Gesundes Österreich. Wien.
http://www.ilo.org/public/german/standards/relm/gb/docs/gb297/pdf/esp-3.pdf
https://epaper.apa.at/epaper-voegb/issue.act?issueId=631509
https://epaper.apa.at/epaper-voegb/issue.act?issueId=675037
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52014IP0012(01)&from=DE
https://www.eval.at/docs/default-source/basiswissen-arbeitnehmerschutz/Basiswissen_Arbeitnehmerschutz.pdf?sfvrsn=0
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/ME/ME_00100/index.shtml
1Vgl. GB.297/ESP/3 297. Tagung: ESP zur Beschlussfassung – Strategien und Praxis im Bereich der Arbeitsaufsicht, S. 4; Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Januar 2014 über wirksame Kontrollen am Arbeitsplatz als Strategie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Europa (2013/2112(INI)).
2https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A12008E153
3Richtlinie 89/391/EWG https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A31989L0391&qid=615985898418
4https://ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId=16874&langId=sl
5https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:52014DC0332
6https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?qid=1550222397650&uri=CELEX:52007DC0062
7https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?qid=1550222397650&uri=CELEX:52002DC0118
9https://www.eurofound.europa.eu/
10Beratender Ausschuss für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz (ACSH)
11Ausschuss Hoher Arbeitsaufsichtsbeamter (SLIC)
12Ausschuss für Risikobeurteilung (RAC) der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA)
13Wissenschaftlicher Ausschuss für Grenzwerte berufsbedingter Exposition (SCOEL)
14Verordnung (EG) Nr. 2062/1994 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=celex:31994R2062
15Verordnung (EU) 2019/127 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Januar 2019 über die Gründung der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1365/75 des Rates https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32019R0127&from=DE
16https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---dgreports/---dcomm/---webdev/documents/publication/wcms_090711.pdf
17Länderprofil Österreich https://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=1000:11110:0::NO:11110:P11110_ COUNTRY_ID:102549
18https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-08/H%C3%BCfner_how_to_file_complaints_on_human_rights_violations.pdf
19https://www.humanrights.ch/de/ipf/grundlagen/durchsetzungsmechanismen/uno/ilo/aufgaben/
20Vgl. ErlRV 1590 BlgNR 18. GP zu § 6: „Besonders ist darauf hinzuweisen, dass nicht auf den Begriff der ,begünstigten Behinderten‘ nach dem Behinderteneinstellungsgesetz abgestellt werden kann, da dieser kein sachgerechtes Kriterium für Schutzmaßnahmen im Sinne des vorliegenden Entwurfes darstellt. So können bestimmte Krankheiten (z. B. Diabetes, Asthma und sonstige Lungenfunktionserkrankungen) bestimmte besondere Schutzmaßnahmen erforderlich machen bzw. bewirken, dass die betroffenen Arbeitnehmer zu bestimmten Tätigkeiten nicht eingesetzt werden dürfen, obwohl keine mindestens 50 %ige Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt. Gleiches gilt z. B. für Arbeitnehmer, denen Gliedmaßen fehlen, auch wenn dies nach sozialrechtlichen Vorschriften nur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von weniger als 50 % darstellt.“
21https://www.arbeitsinspektion.gv.at/Uebergreifendes/Uebergreifendes/Arbeitsmedizinischer_Fachdienst.html
22ASchG-Novelle BGBl. I Nr. 159/2001
23BGBl. I Nr. 115/2022
4Arbeitsunfälle/Berufskrankheiten
Andrea Kernmayer
Zum Aufgabengebiet von Arbeitsmedizinerinnen gehört nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) die Ermittlung und Beurteilung von Gefahren. Das Wirksamwerden von Gefahren führt einerseits zu Arbeitsunfällen und andererseits zu Berufskrankheiten. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten eine immanente Leistung der arbeitsmedizinischen Versorgung von Betrieben darstellt.
Im Unterschied zu Arbeitsunfällen, deren Ursachenevaluierung vorrangig der Tätigkeit von Sicherheitsfachkräften zuzuschreiben ist, ist die Verhütung von Berufskrankheiten, aber auch von arbeitsbedingten Erkrankungen gänzlich im Aufgabenbereich der Arbeitsmedizinerinnen anzusiedeln.
Auf Grundlage von zahlreichen Gesetzen und Verordnungen sollen schädigende Einflüsse am Arbeitsplatz verhindert oder zumindest kontrolliert werden (Prävention). Darüber hinaus regelt das ASVG (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) das System der Schadensabgeltung und Berentung sowie der Rehabilitation, wenn ein arbeitsbedingter Schaden eintritt.
Schlussendlich müssen wir, wenn von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten die Rede ist,
medizinische und (versicherungs-)rechtliche Aspekte getrennt betrachten.
Ein Unfall ist ein plötzliches, zeitlich und örtlich bestimmbares und von außen einwirkendes Ereignis, bei dem eine natürliche Person unfreiwillig einen Körperschaden (bis hin zum Tod) erleidet (Personenschaden) oder eine Sache unbeabsichtigt beschädigt wird (Sachschaden).
In weiterer Folge kann zwischen verschiedenen Unfallarten unterschieden werden, wie z. B. Verkehrsunfall, Sportunfall und Arbeitsunfall.
Arbeitsunfälle sind Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen.
In Zweifelsfällen gilt die Conditio-sine-qua-non-Regel, die besagt, dass der Unfall ohne die Arbeit unmöglich gewesen wäre.
Sobald die notwendigen Sofortmaßnahmen eingeleitet wurden, sollten alle Arbeitsunfälle (aber auch Beinahe-Unfälle) umfassend protokolliert werden, um eine sinnvolle Analyse zu ermöglichen.
Da die absolute Unfallzahl im Betrieb wenig Aussagekraft besitzt, werden, wie oft in der Epidemiologie, Kennzahlen verwendet, um eine Vergleichbarkeit zwischen Betrieben, aber auch hinsichtlich von Schutzmaßnahmen zu ermöglichen.
Die gebräuchlichsten Kennzahlen sind:
Unfallrate = Unfälle pro 100 Beschäftigten
Unfallschwere = Ausfallstunden pro Unfall
Unfallhäufigkeit = Unfälle pro 100.000 Arbeitsstunden
Zusätzlich werden Arbeitsunfälle anhand der Krankheitsdauer (= Ausfallszeit) in unterschiedliche Schweregrade eingeteilt:
Verletzung.......................................................................keine Ausfallzeit
nicht anzeigepflichtiger Unfall (Bagatellunfall)................Ausfallzeit bis 3 Tage
anzeigepflichtiger Unfall..................................................Ausfallzeit mehr als 3 Tage
entschädigungspflichtiger Unfall.....................................bleibender Schaden
tödlicher Unfall................................................................Tod
In der größten österreichischen Unfallversicherung, der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA), sind Arbeitnehmerinnen, Selbstständige, Schülerinnen und Studierende versichert. Dementsprechend variiert auch die Definition der „die Versicherung begründenden Beschäftigung“ (= versicherte Tätigkeit).
4.1.3.1Die versicherte Tätigkeit
Bei einer unselbstständigen Arbeitnehmerin besteht die versicherte Tätigkeit darin, dass sie das tut, wofür sie laut ihrem Arbeitsvertrag verpflichtet wurde. Darüber hinaus zählen dazu auch alle anderen Arbeiten, für die sie von ihrer Arbeitgeberin herangezogen wird. Wird zum Beispiel eine angestellte Tischlerin, die üblicherweise in der Möbelfertigung beschäftigt ist, von ihrer Chefin mit dem Firmenauto in die Waschstraße geschickt, so zählt das auch zur versicherten Tätigkeit.
Wichtig: Verbotswidriges Handeln schließt die Annahme eines Arbeitsunfalles nicht aus.
Wegunfälle werden versicherungsrechtlich wie Arbeitsunfälle behandelt. Darunter fallen unter anderem:
Unfälle auf dem direkten (zumutbaren) Weg von und zur Arbeit (inklusive Umweg zur Schule, um die Kinder abzugeben)
Unfälle auf dem Weg zur Ärztin, zur Bank, zum Essen (in der arbeitsfreien Mittagspause)
Unfälle bei einer mit der Beschäftigung zusammenhängenden Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgerätes, auch wenn dieses von der Versicherten beigestellt wird
Unfälle bei häuslichen oder anderen Tätigkeiten, zu denen die Versicherte durch die Dienstgeberin oder deren Beauftragte herangezogen wird
Unfälle auf dem Weg von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte oder der Wohnung zu einer Untersuchungs- oder Behandlungsstelle
Unfälle bei einer mit der Beschäftigung zusammenhängenden Inanspruchnahme von gesetzlichen beruflichen Vertretungen oder Berufsvereinigungen
4.1.3.3Gleichgestellte Unfälle
Im ASVG wird noch eine weitere Gruppe von Unfällen angeführt, die wie Arbeitsunfälle versichert sind. Hierzu zählen unter anderem:
Unfälle bei Betriebsversammlungen
Unfälle bei der Rettung von Menschen aus Lebensgefahr (kann auch in der Freizeit und im benachbarten Ausland sein)
Unfälle als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, des Roten Kreuzes, der Bergrettung usw.
Unfälle auf Wegen im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarktservice (Arbeitslose [= Nichtversicherte] geht zum Arbeitsmarktservice [AMS] und/oder über Veranlassung des AMS zu einem Vorstellungstermin)
Unfälle beim Besuch beruflicher Schulungs-(Fortbildungs-)Kurse, wenn diese geeignet sind, das berufliche Fortkommen zu fördern (deshalb sind auch die nicht selbstständige/arbeitslose Ärztin und die Ärztin in Karenz geschützt, wenn sie an einem Kurs der Akademie für Arbeitsmedizin teilnehmen)
4.1.3.4Meldepflicht, Unfallmeldung
Die Dienstgeberin und die sonstigen meldepflichtigen Personen haben jeden Arbeitsunfall, durch den eine unfallversicherte Person getötet oder mehr als 3 Tage arbeitsunfähig geworden ist, längstens binnen 5 Tagen dem zuständigen Träger der Unfallversicherung auf einem von diesem aufzulegenden Vordruck in dreifacher Ausfertigung anzuzeigen.
Der Unfallversicherungsträger lässt nach Einlangen einer Unfallanzeige unverzüglich die Tatsachen feststellen, welche für die Ermittlung, ob und in welcher Höhe eine Entschädigung in Betracht kommt, erforderlich sind.
Berufskrankheiten werden nach dem ASVG wie folgt definiert: entschädigungspflichtige Erkrankungen, die in Anlage 1 zum § 177 ASVG in der „Liste der Berufskrankheiten“ aufgezählt sind.
Als Berufskrankheiten gelten die in der Anlage 1 zu diesem Bundesgesetz bezeichneten Krankheiten unter den dort angeführten Voraussetzungen, wenn sie durch Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung in einem in Spalte 3 der Anlage bezeichneten Unternehmen verursacht sind. Hautkrankheiten gelten nur dann als Berufskrankheiten, wenn und solange sie zur Aufgabe schädigender Tätigkeiten zwingen. Dies gilt nicht, wenn die Hautkrankheit eine Erscheinungsform einer Allgemeinerkrankung ist, die durch Aufnahme einer oder mehrerer der in der Anlage 1 angegebenen schädigenden Stoffe in den Körper verursacht wurde.
Hiervon abzugrenzen sind die arbeits- bzw. berufsbedingten Erkrankungen, womit Gesundheitsstörungen gemeint sind, bei denen die Arbeitswelt als verursachender oder als verschlimmernder Faktor eine Rolle spielt.
Berufskrankheiten sind also eine Teilmenge (mit besonderer versicherungsrechtlicher Stellung) der übergeordneten Menge von arbeitsbedingten Erkrankungen.
Abb. 1:
Die Aufnahme einer Erkrankung in die BK-Liste ist Ergebnis einer politischen Entscheidung, die auf der strengen Anwendung des Kausalitätsbegriffes gründet.
Dieser aus juristischer Sicht geforderte zeitlich-örtlich-ursächliche Zusammenhang ist dann gegeben, wenn eine Krankheit
1.in einem strengen Kausalzusammenhang mit einer bestimmten Einwirkung steht (haftungsausfüllende Kausalität),
2.diese Einwirkung bei einer bestimmten Tätigkeit in einem bestimmten Beruf vorkommt (haftungsbegründende Kausalität) und
3.bei dieser Personengruppe in einer Häufigkeit auftritt, die über dem Durchschnitt der Morbidität der übrigen Bevölkerung liegt.
Auf die Berufskrankheiten im Einzelnen, ihre Entstehung und ihren Verlauf wird an anderer Stelle genauer eingegangen, ebenso auf die Zielsetzung und Organisation der Unfallversicherungen.
Eine Krankheit, die ihrer Art nach nicht in Anlage 1 im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) enthalten ist, gilt im Einzelfall als Berufskrankheit, wenn der Träger der Unfallversicherung aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse feststellt, dass sie ausschließlich oder überwiegend durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen bei einer vom Versicherten ausgeübten Beschäftigung entstanden ist; diese Feststellung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung der zuständigen Bundesministerin.
Wie beim Arbeitsunfall (s. Kapitel 4.1.3.4) haben die meldepflichtigen Personen (Arbeitgeberinnen!) die Berufskrankheit einer Unfallversicherten binnen fünf Tagen nach dem Beginn der Krankheit dem zuständigen Träger der Unfallversicherung zu melden.
Merke: Berufskrankheiten sind, wie Arbeitsunfälle, meldepflichtig. Die Meldepflicht („begründeter Verdacht auf …“) trifft im Unterschied zu den Arbeitsunfällen auch jede Ärztin.
Der dafür notwendige Vordruck „Ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit“ ist bei den Unfallversicherungen erhältlich.
Beim Anerkennungsverfahren besteht Beweislastumkehr. Das bedeutet: Nicht die geschädigte Person muss beweisen, wie und wodurch sie geschädigt wurde, sondern die Versicherung muss gegebenenfalls den Beweis erbringen, dass die Schädigung nicht durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit erfolgt ist.
4.2.4.3Mitwirkung der Anspruchswerberin oder Anspruchsberechtigten
Anspruchswerberin und Anspruchsberechtigte sind verpflichtet, sich einer ärztlichen Untersuchung oder einer Beobachtung in einer Krankenanstalt zu unterziehen, die der zuständige Versicherungsträger anordnet, um das Vorliegen und den Grad von gesundheitlichen Schädigungen festzustellen, die Voraussetzung für den Anspruch auf eine Leistung sind.
Berufskrankheiten sind entschädigungspflichtig, die Entschädigung erfolgt durch die zuständige Unfallversicherung. Für eine genaue Auflistung der vonseiten der Unfallversicherung getätigten Leistungen siehe § 173 ASVG.
Generell gilt, dass Berufskrankheiten erst ab einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 % berentet werden. Die MdE wird im Anerkennungsbescheid festgelegt.
4.2.5Berufskrankheiten-Statistik
Jährlich werden von verschiedenen staatlichen Behörden (Sozialministerium, Gesundheitsministerium, Arbeitsinspektorat und AUVA) Statistiken zu Berufskrankheiten erstellt und veröffentlicht:
Arbeitsinspektorat: https://www.arbeitsinspektion.gv.at/Uebergreifendes/Arbeitsunfaelle/Analyse_von_Arbeitsunfaellen.html
AUVA: https://www.auva.at/cdscontent/load?contentid=10008.633448&version=1526981135
Für detaillierte statistische Auskunft kann die AUVA kontaktiert werden.
4.2.6Querverweis vom ASVG zum ASchG (Untersuchungen lt. § 49ff.)
Berufskrankheiten werden auch im für die arbeitsmedizinische Tätigkeit äußerst wichtigen ASchG mehrfach erwähnt, und zwar hauptsächlich in den §§ 49 und 57. Mehr Informationen dazu finden Sie im Kapitel III.5 „Eignungs- und Folgeuntersuchungen“.
Literatur
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), §§ 173ff., 363ff.
https://de.wikipedia.org/wiki/Unfall
https://www.arbeitsinspektion.gv.at
5Eignungs- und Folgeuntersuchungen
Andrea Kernmayer
Der 5. Abschnitt des ASchG enthält unter dem Titel „Gesundheitsüberwachung“ gesetzliche Bestimmungen bezüglich Untersuchungen, denen sich Arbeitnehmerinnen entweder verpflichtend unterziehen müssen oder die zumindest verpflichtend vonseiten der Arbeitgeberinnen angeboten werden müssen.
Nach §§ 49ff. ASchG lassen sich grob folgende Untersuchungen unterscheiden:
Eignungs- und Folgeuntersuchungen,
wiederkehrende Untersuchungen der Hörfähigkeit und
sonstige besondere Untersuchungen.
Eignungs- und Folgeuntersuchungen (sowie wiederkehrende Untersuchungen der Hörfähigkeit) sind von hierzu ermächtigten Ärztinnen durchzuführen. Genauere Angaben zur Vorgangsweise bei der Durchführung der Eignungs- und Folgeuntersuchungen sind gesetzlich vorgegeben.
Merke: Die VGÜ wird stetig novelliert, weshalb alle Untersuchungen sowohl formal als auch inhaltlich einer andauernden Überarbeitung unterliegen.
Jede Ärztin hat einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Ermächtigung durch die zuständige Bundesministerin, wenn gewisse Voraussetzungen vorliegen (siehe § 56, Abs. 1 ASchG).
Es gibt daher keine betriebsgebundenen Ermächtigungen!
Zur Erlangung der Ermächtigung ist vor der erstmaligen Durchführung der jeweiligen Untersuchung beim zuständigen Bundesministerium eine Meldung einzubringen.
Weiters ist eine Meldung erforderlich bei:
allfälligen Änderungen der Angaben und Voraussetzungen oder
Einstellung der jeweiligen Untersuchung oder der Tätigkeit.
Die Ermächtigung kann unter der Auflage erteilt werden, dass die Ärztin die Untersuchungen einer regelmäßigen Qualitätssicherung unterziehen lässt, sofern dies zur Gewährleistung ordnungsgemäßer Untersuchungen und Beurteilungen erforderlich ist.
Für mehr Information zum Ablauf des Ermächtigungsprozesses siehe die Webseite der Arbeitsinspektion: https://www.arbeitsinspektion.gv.at/Gesundheit_im_Betrieb/Gesundheitsueberwachung/Ermaechtigte_Aerztinnen_und_Aerzte.html
5.2.2Liste der ermächtigten Ärztinnen
Die zuständige Bundesministerin hat eine Liste der ermächtigten Ärztinnen zu erstellen, regelmäßig zu aktualisieren (jährlich!) und im Internet zu veröffentlichen.
Diese Liste hat zu enthalten:
Name
Anschrift
Telefonnummer
Art der Untersuchung, für die eine Ermächtigung vorliegt
Diese Liste dient der Unterstützung von Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin bei der Auswahl von einer in Betracht kommenden Ärztin und ist auf der Webseite der Arbeitsinspektion ersichtlich.
5.2.3Widerruf/Entzug der Ermächtigung
Eine Ärztin ist von der Liste der ermächtigten Ärztinnen zu streichen, wenn
die Voraussetzungen nach § 56, Abs. 1 ASchG nicht mehr vorliegen oder
gegen die für ermächtigte Ärztinnen geltenden Bestimmungen des ASchG oder der VGÜ verstoßen wurde oder
innerhalb der letzten 5 Jahre keine entsprechende Untersuchung vorgenommen wurde.
Die Ermächtigung wird jedoch nicht sofort entzogen. Vor dem Entzug wird jeder ermächtigten Ärztin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Erst wenn diese durchgeführt wurde oder die Ärztin die zur Stellungnahme vorgesehene Frist verstreichen lässt, wird die Ermächtigung mit Bescheid entzogen.
Wurde einer ermächtigten Ärztin die Ermächtigung entzogen, so kann neuerlich um Erteilung einer Ermächtigung angesucht werden.
Arbeitnehmerinnen dürfen mit Tätigkeiten, bei denen sie bestimmten Einwirkungen ausgesetzt sind, nur beschäftigt werden, wenn vor Aufnahme der Tätigkeit Eignungsuntersuchungen durchgeführt wurden und bei Fortdauer der Tätigkeit in regelmäßigen Zeitabständen Folgeuntersuchungen durchgeführt werden. Grundsätzlich wird unterschieden nach:
5.3.1Eignungs- und Folgeuntersuchungen gemäß § 49, Abs. 1 ASchG
Die eine solche Untersuchungspflicht geltend machenden Arbeitsstoffe werden in der VGÜ aufgelistet.
Merke: Unter gewissen Umständen existieren Ausnahmen von der Untersuchungsverpflichtung (→ geltende Fassung der VGÜ).
5.3.2Eignungs- und Folgeuntersuchungen gemäß § 49, Abs. 2 ASchG
1.Tätigkeiten, bei denen Atemschutzgeräte mit einer Masse von mehr als 5 kg länger als 30 Minuten durchgehend getragen werden müssen;
2.Tätigkeiten im Rahmen von Gasrettungsdiensten und Grubenwehren sowie als deren ortskundige Führerin;
3.Tätigkeiten unter den Organismus besonders belastender Hitze.
5.3.3Eignungs- und Folgeuntersuchungen für Arbeitnehmerinnen, die unter Tage im Bergbau beschäftigt werden
Arbeitnehmerinnen unter 21 Jahren dürfen unter Tage im Bergbau nur beschäftigt werden, wenn vor Aufnahme der Tätigkeit Eignungsuntersuchungen durchgeführt wurden und bei Fortdauer der Tätigkeit Folgeuntersuchungen durchgeführt werden.
5.3.4Eignungs- und Folgeuntersuchungen für Arbeitnehmerinnen, die in Räumen mit reduzierter Sauerstoffkonzentration beschäftigt werden
Arbeitnehmerinnen dürfen in Räumen, in denen die Sauerstoffkonzentration unter 17 Volumsprozent herabgesetzt ist, nur beschäftigt werden, wenn vor Aufnahme der Tätigkeit Eignungsuntersuchungen durchgeführt wurden und bei Fortdauer der Tätigkeit Folgeuntersuchungen durchgeführt werden.
5.3.5Untersuchungen bei gesundheitsgefährdender Lärmeinwirkung gemäß § 50 ASchG
Sonstige besondere Untersuchungen gemäß § 51 ASchG
Wenn arbeitsmedizinisch geboten, müssen Arbeitgeberinnen dafür sorgen, dass sich Arbeitnehmerinnen auf eigenen Wunsch vor Aufnahme dieser Tätigkeit sowie bei Fortdauer der Tätigkeit in regelmäßigen Zeitabständen einer solchen besonderen Untersuchung unterziehen können.
Dies betrifft Tätigkeiten, bei denen Arbeitnehmerinnen
1.besonderen physikalischen Einwirkungen ausgesetzt sind oder
2.den Einwirkungen gefährlicher Arbeitsstoffe ausgesetzt sind oder
3.besonders belastenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind (z. B. Nachtarbeit) sowie
4.Tätigkeiten, bei deren Ausübung durch gesundheitlich nicht geeignete Arbeitnehmerinnen eine besondere Gefahr für diese selbst oder für andere Personen entstehen kann.
Sonstige besondere Untersuchungen dürfen nur von Ärztinnen vorgenommen werden, die den Anforderungen für Arbeitsmedizinerinnen gemäß § 79, Abs. 2 ASchG entsprechen.
Als Eignungsuntersuchung gilt die für die erstmalige Aufnahme einer Tätigkeit durchgeführte Untersuchung betreffend eine bestimmte Einwirkung, unabhängig davon, in welchem Betrieb die Tätigkeit erfolgte.
Die Zeitabstände der Folgeuntersuchungen sowie der wiederkehrenden Untersuchungen der Hörfähigkeit werden in der Anlage 1 der VGÜ festgelegt.
Untersuchungen, die dieselbe Arbeitnehmerin betreffen, sind möglichst zum selben Zeitpunkt durchzuführen. Zur Zusammenführung der Untersuchungszeitpunkte können die in Anlage 1 geltenden Zeitabstände auf maximal das 1,5-Fache erstreckt werden, bis ein einheitlicher Untersuchungszeitpunkt erreicht ist.
Eignungs- und Folgeuntersuchungen gemäß § 49 ASchG, Untersuchungen der Hörfähigkeit gemäß § 50 ASchG, Eignungs- und Folgeuntersuchungen für Arbeitnehmerinnen, die in sauerstoffreduzierten Räumen beschäftigt werden, und sonstige besondere Untersuchungen gemäß § 51 ASchG sind in dem in Anlage 2 (Untersuchungsrichtlinien) festgelegten Umfang durchzuführen.
Bei Durchführung der Untersuchungen ist nach den anerkannten Regeln der Arbeitsmedizin vorzugehen. Die untersuchende Ärztin hat allenfalls vorhandene Befunde vorangegangener Untersuchungen zu berücksichtigen.
Werden zu Teilbereichen der Untersuchungen andere Ärztinnen oder Labors herangezogen, so hat die untersuchende Ärztin die Ergebnisse dieser Teiluntersuchungen bei der Beurteilung zu berücksichtigen. Sie hat die Beurteilung eigenhändig zu unterzeichnen oder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen.
Bei Eignungs- und Folgeuntersuchungen sind zur Vereinheitlichung der Anamnese, des Untersuchungsganges und der Befundermittlung sowie zur Dokumentation die auf der Webseite des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (www.bmask.gv.at) und der Arbeitsinspektion (www.arbeitsinspektion.gv.at) zum Download zur Verfügung stehenden Untersuchungsformulare zu verwenden. Es können auch Untersuchungsformulare verwendet werden, die diesen inhaltlich entsprechen und gut lesbar sind.
Untersuchungen im Sinne dieser Verordnung sind vorrangig von gemäß § 79 ASchG bestellten Arbeitsmedizinerinnen durchzuführen. Arbeitgeberinnen müssen den untersuchenden Ärztinnen Zugang zu den Arbeitsplätzen der zu untersuchenden Arbeitnehmerinnen gewähren und alle erforderlichen Informationen über die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.
Die untersuchenden Ärztinnen haben sich jedenfalls Kenntnis von den konkreten Arbeitsbedingungen der zu untersuchenden Arbeitnehmerin zu verschaffen. Dies kann durch Besichtigung des jeweiligen Arbeitsplatzes und/oder durch Einholung der zur Beurteilung und Beratung erforderlichen Informationen über den Arbeitsplatz erfolgen.
Merke: Übertretungen der Bestimmungen der VGÜ sind mit Geldbußen zu bestrafen.
5.4.2Ermittlung und Beurteilung der Gefahren
Die Arbeitgeberin hat auf Grundlage der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren einschließlich der Ergebnisse von Messungen und Bewertungen und in den Fällen des § 49, Abs. 1 ASchG unter der Voraussetzung, dass die Gefahr des Entstehens einer Berufskrankheit besteht, festzulegen, ob eine Untersuchung im Sinne dieser Verordnung für einen bestimmten Arbeitsbereich, Arbeitsplatz oder Arbeitsvorgang erforderlich ist. Erforderlichenfalls ist das Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument entsprechend anzupassen.
Wird im Rahmen der Gesundheitsüberwachung eine Gesundheitsbeeinträchtigung festgestellt, die nach Auffassung der untersuchenden Ärztin auf Einwirkungen bei der Arbeit zurückzuführen ist, so hat die Arbeitgeberin die Ermittlung und Beurteilung der Gefahren für den Arbeitsbereich der untersuchten Arbeitnehmerin zu überprüfen. Dies ist jedenfalls erforderlich, wenn die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung bei Durchführung von Eignungs- und Folgeuntersuchungen gemäß § 52 ASchG auf „nicht geeignet“ oder „geeignet mit Verkürzung des Zeitabstandes bis zur Folgeuntersuchung“ lautet.
Die untersuchende Ärztin muss die Arbeitgeberin nachweislich über das Erfordernis der Überprüfung und Anpassung der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren in Kenntnis setzen. Der untersuchenden Ärztin ist Einsicht in das angepasste Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument zu gewähren.
5.4.3Durchführung von Eignungs- und Folgeuntersuchungen
Die untersuchenden Ärztinnen haben bei der Durchführung von Eignungs- und Folgeuntersuchungen nach den folgenden Grundsätzen vorzugehen:
1.Die Untersuchungen sind nach einheitlichen Richtlinien durchzuführen und zu beurteilen.
2.Die Ergebnisse der Untersuchungen sind in einem Befund festzuhalten.
3.Es hat eine Beurteilung zu erfolgen („geeignet“, „nicht geeignet“).
4.Wenn die Beurteilung auf „geeignet“ lautet, aber eine Verkürzung des Zeitabstandes bis zur Folgeuntersuchung geboten erscheint, ist der Zeitabstand bis zur vorzeitigen Folgeuntersuchung in die Beurteilung aufzunehmen.
5.Der Befund samt Beurteilung ist unverzüglich dem ärztlichen Dienst des zuständigen Arbeitsinspektorates zu übermitteln.
6.Der Befund ist der Arbeitnehmerin auf Verlangen zu übermitteln und zu erläutern.
7.Wenn die Beurteilung auf „geeignet“ lautet, ist diese der Arbeitgeberin sowie der
Arbeitnehmerin schriftlich mitzuteilen.
5.4.4Durchführung von wiederkehrenden Untersuchungen der Hörfähigkeit sowie von sonstigen besonderen Untersuchungen
Die untersuchenden Ärztinnen haben bei der Durchführung von wiederkehrenden Untersuchungen der Hörfähigkeit und bei sonstigen besonderen Untersuchungen wie folgt vorzugehen:
Sofern für die Durchführung von solchen Untersuchungen einheitliche Richtlinien erlassen wurden, sind die Untersuchungen nach diesen Richtlinien durchzuführen.
Die Ergebnisse der Untersuchungen sind in einem Befund festzuhalten.
Der Befund ist der Arbeitnehmerin auf Verlangen zu übermitteln und zu erläutern.
5.4.5Gesundheitsüberwachung bei Druckluft- und Taucherarbeiten
Für die dem ASchG unterliegende Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen mit Arbeiten in Druckluft im Zuge von Bauarbeiten aller Art sowie mit Taucherarbeiten ist bestimmt, dass die meisten Paragrafen der Druckluft- und Taucherarbeiten-Verordnung bis zum Inkrafttreten einer Verordnung nach dem ASchG als Bundesgesetz anzuwenden sind.
5.4.6Zeitabstände der Untersuchungen
Siehe 5.4.1 Allgemeines, 2. und 3. Absatz.
5.5Aufgaben der Arbeitsinspektion
5.5.1… bei Eignungs- und Folgeuntersuchungen
Die Ärztinnen der Arbeitsinspektion haben bei Eignungs- und Folgeuntersuchungen von Amts wegen die übermittelten Befunde und Beurteilungen unter Berücksichtigung der Arbeitsbedingungen zu überprüfen.
Außerdem sind sie verpflichtet, der Arbeitnehmerin auf Verlangen den Befund zu erläutern.
Über die gesundheitliche Eignung entscheidet das Arbeitsinspektorat mit Bescheid. Im Verfahren haben die Arbeitnehmerin und die Arbeitgeberin Parteistellung. Tatsachen, die der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen, sind der Arbeitgeberin vom Arbeitsinspektorat jedoch nur mit Zustimmung der Arbeitnehmerin zur Kenntnis zu bringen.
Führt die Überprüfung durch das Arbeitsinspektorat zu einem von der Beurteilung der untersuchenden Ärztin abweichenden Ergebnis, so ist dieser Ärztin eine Abschrift des Bescheides zu übermitteln. Führt die Überprüfung einer auf „nicht geeignet“ lautenden ärztlichen Beurteilung durch das Arbeitsinspektorat zu einem abweichenden Ergebnis, ist diese Ärztin außerdem vor Bescheiderlassung anzuhören.
Ein Bescheid über die gesundheitliche Eignung kann entfallen, wenn
die Beurteilung auf „geeignet“ lautet, und
die Überprüfung ergibt, dass die Arbeitnehmerin für die betreffende Tätigkeit geeignet ist und keine zusätzlichen Maßnahmen zur Verminderung der Gesundheitsgefährdung notwendig sind, und
weder die Arbeitgeberin noch die Arbeitnehmerin einen Antrag auf Erlassung eines Bescheides stellt.
Wenn in der Beurteilung keine Verkürzung des Zeitabstandes bis zur Folgeuntersuchung vorgesehen ist, eine Verkürzung aber aufgrund der Überprüfung geboten erscheint, ist der Zeitabstand von Amts wegen oder auf Antrag mit Bescheid zu verkürzen.
Ist in der Beurteilung eine Verkürzung des Zeitabstandes bis zur Folgeuntersuchung vorgesehen und ergibt die Überprüfung, dass eine solche Verkürzung nicht erforderlich ist, so hat das Arbeitsinspektorat dies der Arbeitgeberin, der Arbeitnehmerin sowie der Ärztin, die die Untersuchung durchgeführt hat, mitzuteilen.
Einer Beschwerde beim Verwaltungsgericht gegen Bescheide über die gesundheitliche Eignung und über die Verkürzung des Zeitabstandes bis zur Folgeuntersuchung kommt keine aufschiebende Wirkung zu. Das heißt, ein Beschäftigungsverbot bleibt mit dem Datum des Wirksamwerdens auch in diesem Fall gültig.
Die bescheidmäßige Feststellung der gesundheitlichen Eignung aufgrund einer Eignungsuntersuchung oder Folgeuntersuchung kann erfolgen
unter Verkürzung des Zeitabstandes bis zur Folgeuntersuchung oder/und
unter der Bedingung, dass die Arbeitgeberin bestimmte im Bescheid festzulegende geeignete Maßnahmen trifft, die die Gesundheitsgefährdung vermindern.
Bei bescheidmäßiger Feststellung der gesundheitlichen Nichteignung darf die Arbeitnehmerin mit den im Bescheid angeführten Tätigkeiten nicht mehr beschäftigt werden. Dies gilt grundsätzlich bis zur Aufhebung durch Bescheid des Arbeitsinspektorats.
Ist anzunehmen, dass die gesundheitliche Eignung in absehbarer Zeit wieder gegeben sein wird, so ist im Bescheid festzulegen, zu welchem Zeitpunkt eine neuerliche Untersuchung frühestens erfolgen soll. In diesem Fall darf die Arbeitnehmerin mit den im Bescheid angeführten Tätigkeiten wieder beschäftigt werden, wenn eine Folgeuntersuchung die Beurteilung „geeignet“ ergeben hat.
Das Arbeitsinspektorat kann im Bescheid aussprechen, dass das Beschäftigungsverbot erst nach Ablauf einer bestimmten Frist wirksam wird, wenn dies aus arbeitsmedizinischen Gründen unter Berücksichtigung der Arbeitsbedingungen vertretbar ist.
Die Aufhebung des Beschäftigungsverbotes hat auf Antrag der Arbeitgeberin oder der Arbeitnehmerin oder von Amts wegen zu erfolgen, wenn aufgrund einer Folgeuntersuchung festgestellt wird, dass die gesundheitliche Eignung für die betreffende Tätigkeit wieder gegeben ist.
5.5.2… bei wiederkehrenden Untersuchungen der Hörfähigkeit sowie sonstigen besonderen Untersuchungen
Auch bei diesen Untersuchungen sind die Ärztinnen der Arbeitsinspektion verpflichtet, der Arbeitnehmerin auf Verlangen den Befund zu erläutern.
Wenn dem Arbeitsinspektorat zur Kenntnis gelangt ist, dass bei einer Arbeitnehmerin eine Erkrankung aufgetreten ist, die auf eine Tätigkeit zurückzuführen ist, bei denen sie
besonderen physikalischen Einwirkungen oder
den Einwirkungen gefährlicher Arbeitsstoffe oder
besonders belastenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt ist oder
bei deren Ausübung durch gesundheitlich nicht geeignete Arbeitnehmerinnen eine besondere Gefahr für diese selbst oder für andere Personen entstehen kann,
so ist die Vornahme von besonderen Untersuchungen auch bei anderen Arbeitnehmerinnen, die mit derartigen Tätigkeiten beschäftigt werden, zu empfehlen.
5.6Aufgaben der Arbeitgeberinnen
5.6.1Zugangs- und Unterstützungspflicht
Arbeitgeberinnen müssen den untersuchenden Ärztinnen Zugang zu den Arbeitsplätzen der zu untersuchenden Arbeitnehmerinnen sowie zu allen für die Durchführung oder Beurteilung notwendigen Informationen, wie zum Beispiel zu Messergebnissen, gewähren.
Werden Eignungs- und Folgeuntersuchungen, wiederkehrende Untersuchungen der Hörfähigkeit sowie sonstige besondere Untersuchungen während der betrieblichen Arbeitszeit durchgeführt, müssen Arbeitgeberinnen den Arbeitnehmerinnen die erforderliche Freizeit unter Fortzahlung des Entgelts gewähren.
5.6.2Aufgaben im Rahmen der Gefahrenermittlung
Arbeitgeberinnen müssen über jede Arbeitnehmerin, für die Eignungs- oder Folgeuntersuchungen erforderlich sind, Aufzeichnungen führen, die Folgendes zu enthalten haben:
Vor- und Zuname, Geburtsdatum und Anschrift,
Art der Tätigkeit, die die Untersuchungspflicht begründet,
Datum der Aufnahme dieser Tätigkeit,
Datum der Beendigung dieser Tätigkeit,
Name und Anschrift der untersuchenden Ärztin,
Datum jeder Untersuchung.
Den Aufzeichnungen sind alle Beurteilungen der untersuchenden Ärztinnen über die gesundheitliche Eignung sowie allfällige Bescheide des Arbeitsinspektorats und allfällige Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts anzuschließen.
Die Unterlagen sind so lange aufzubewahren, bis die Arbeitnehmerin aus dem Betrieb ausscheidet. Sodann sind sie dem zuständigen Träger der Unfallversicherung zu übermitteln. Dieser hat die Unterlagen für mindestens 40 Jahre aufzubewahren.
Arbeitgeberinnen müssen jeder Arbeitnehmerin zu den sie persönlich betreffenden Aufzeichnungen und Unterlagen Zugang gewähren und auf Verlangen Kopien davon aushändigen.
Eine Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen mit Tätigkeiten, bei denen die Gefahr einer Berufskrankheit besteht, ist nicht zulässig, wenn durch ein von der Arbeitnehmerin vorgelegtes ärztliches Zeugnis nachgewiesen wird, dass ihr Gesundheitszustand eine derartige Tätigkeit nicht zulässt.
Dies gilt nicht für Tätigkeiten unter Einwirkungen gemäß § 2, Abs. 1 VGÜ, welche die Durchführung von Eignungs- und Folgeuntersuchungen erfordern.
Arbeitgeberinnen sind verpflichtet Arbeitnehmerinnen vor Aufnahme der Beschäftigung mit einer Tätigkeit, für die diese Verordnung Untersuchungen vorsieht, darüber zu informieren,
1.dass vor Aufnahme der Tätigkeit sowie bei deren Fortdauer Gesundheitsuntersuchungen auf Kosten der Arbeitgeberin durchgeführt werden müssen, damit eine Beschäftigung erfolgen kann,
2.ob es sich um sonstige besondere Untersuchungen handelt, denen sich Arbeitnehmerinnen auf eigenen Wunsch unterziehen können, sowie
3.über die Zeitabstände der Folgeuntersuchungen bzw. der wiederkehrenden Untersuchungen und
4.dass die ermächtigten Ärztinnen sowie die Ärztinnen der Arbeitsinspektion der Arbeitnehmerin die Ergebnisse der Untersuchung auf Verlangen zu erläutern haben.
Wenn bei einer wiederkehrenden Untersuchung der Hörfähigkeit sowie bei sonstigen besonderen Untersuchungen bei einer Arbeitnehmerin eine die Gesundheit schädigende Auswirkung festgestellt wurde, sind Arbeitgeberinnen, die davon Kenntnis haben, verpflichtet, alle anderen in ähnlicher Weise exponierten Arbeitnehmerinnen verstärkt über die Möglichkeit solcher Untersuchungen zu informieren.
5.7Kosten der Eignungs- und Folgeuntersuchungen
Die Kosten von Eignungs- und Folgeuntersuchungen sind von der Arbeitgeberin zu tragen.
Die Kosten von sonstigen besonderen Untersuchungen hat die Arbeitgeberin zu tragen, soweit sie nicht auf Kosten eines Versicherungsträgers erfolgen.
5.7.2Kostenersatzanspruch der Arbeitgeberin
Wenn Eignungs- und Folgeuntersuchungen oder sonstige besondere Untersuchungen (+ Untersuchung der Hörfähigkeit) im Zusammenhang mit Tätigkeiten, die eine Berufskrankheit verursachen können, durchgeführt werden, hat die Arbeitgeberin gegenüber dem zuständigen Träger der Unfallversicherung Anspruch auf Ersatz der Kosten.
Dies gilt auch für Eignungsuntersuchungen, die unmittelbar vor Aufnahme einer Tätigkeit durchgeführt werden, die die Unfallversicherungspflicht auslöst.
Der zuständige Träger der Unfallversicherung ist berechtigt, mit ermächtigten Ärztinnen die direkte Verrechnung der Kosten von solchen Untersuchungen zu vereinbaren.
5.7.4Überprüfungsrecht des zuständigen Unfallversicherungsträgers
Die zuständigen Träger der Unfallversicherung sind berechtigt, die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Kosten von genannten Untersuchungen bei den Ärztinnen stichprobenartig zu überprüfen. Die Ärztinnen haben in diesem Zusammenhang Auskünfte im erforderlichen Umfang zu erteilen. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Auskunftserteilung ist der betreffenden Ärztin gegenüber glaubhaft zu machen.
Auskünfte dürfen nur insoweit in personenbezogener Form erteilt werden, als dies der Zweck der im Einzelfall vorgenommenen Überprüfung unbedingt erfordert.
Medizinische Daten, insbesondere die Diagnose, dürfen nur einer ordnungsgemäß ausgewiesenen bevollmächtigten Ärztin des zuständigen Trägers der Unfallversicherung bekannt gegeben werden.
Quellen
§§ 49–59, 119 ASchG
§§ 2–8 VGÜ
Barbara Libowitzky
Wer kennt sie nicht, die Sprichwörter zu Nachvollziehbarkeit und Dokumentation, die einen durchs Leben begleiten – „Von der Wiege bis zur Bahre – Formulare! Formulare!“ oder
„Wer schreibt, bleibt!“?
Auch im Bereich der Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten kommen wir um ein Mindestmaß an Dokumentation nicht herum. Es geht allerdings nicht um Bürokratie, sondern um Nachvollziehbarkeit und Rechtssicherheit. Doch beginnen wir an der Basis.
In diesem Beitrag soll auf das Was und das Wie der Dokumentation eingegangen werden.
1.Personen im Arbeitnehmerschutz
2.Was ist zu dokumentieren?
a)Aufzeichnungen * In diesem Beitrag soll auf das Was und das Wie der Dokumentation eingegangen werden.
b)Berichte
3.Wie ist zu dokumentieren?
Welche Personen sind im Arbeitnehmerschutz genannt und zu benennen? Welche Funktionen haben diese?
Im Folgenden wird nur rudimentär auf die Rollen und Funktionen im Arbeitnehmerschutz eingegangen, da gerade die Rollen im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz bzw. in der Verordnung über die Sicherheitsvertrauenspersonen (SVP-VO) spezifiziert sind.
In der Sphäre des Arbeitgebers fungieren die Sicherheitsfachkräfte und die Arbeitsmediziner als Berater. Ihre Aufgabe ist es, den Arbeitgeber – der der Hauptadressat des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) ist – bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben in allen Belangen von Sicherheit und Gesundheit zu unterstützen. Sicherheitsfachkräfte haben eine technische Grundausbildung und eine mehrwöchige Spezialausbildung (z. B. bei der AUVA) genossen. Arbeitsmediziner hingegen sind die Experten für Gesundheitsfragen (auch hinsichtlich Toxizität und langfristig schädigenden Auswirkungen von Arbeitsprozessen und Arbeitsstoffen). Auch ihre Ausbildung dauert mehrere Wochen und wird von den Akademien für Arbeitsmedizin (z. B. AAMP) durchgeführt. Laut ASchG hat jeder Arbeitgeber, der mindestens eine Person (auch in Teilzeit) beschäftigt, für eine sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung zu sorgen.
Arbeitnehmer und Betriebsräte sollen hinsichtlich Sicherheits- und Gesundheitsfragen und -themen durch sogenannte Sicherheitsvertrauenspersonen (SVP) unterstützt werden. Diese SVP haben eine dreitägige Grundausbildung genossen, in der sie die Grundlagen der Prävention erlernen und ein Verständnis für Sicherheit und Gesundheit entwickeln oder vertiefen konnten. Die Zahl der Sicherheitsvertrauenspersonen richtet sich nach einem Berechnungsschlüssel, der in der SVP-VO angeführt ist.
Diese sechs Personengruppen sollen im Idealfall gemeinsam auf sichere und gesunde Arbeitsplätze hinwirken. Dies kann z. B. durch regelmäßige Besprechungen, Begehungen oder Ad-hoc-Interventionen geschehen. Je nach Betriebsgröße und Betriebsart gibt es möglicherweise weitere Beauftragte, die einen mit dem Arbeitnehmerschutz zusammenhängenden Auftrag haben.
Welche Arten der Dokumentation im Arbeitnehmerschutz vorgesehen sind, wird im Folgenden beschrieben. Es sind dies Aufzeichnungen und Berichte.
Aufzeichnungen
Es ist sinnvoll und notwendig, dass die Präventivfachkräfte (Sicherheitsfachkraft und Arbeitsmedizin) Aufzeichnungen über ihre spezifische Tätigkeit führen. Zweck von Aufzeichnungen ist vor allem die Nachvollziehbarkeit, aber auch für das Nachverfolgen von Maßnahmenvorschlägen oder Umsetzungsvorhaben sind sie sinnvoll und erforderlich.
Worüber müssen Aufzeichnungen geführt werden?
geleistete Einsatzzeit
durchgeführte Tätigkeiten nach ASchG (z. B. Begehungen und deren Ergebnisse, Beratungen, Aktualisierung der Evaluierungsunterlagen, aber auch Besichtigungen, Untersuchungen und deren Ergebnisse)
Wenn eine Arbeitsstätte durch das Service AUVAsicher betreut wird, ist es erforderlich, dass nach jeder Begehung ein schriftlicher Bericht inklusive Verbesserungsvorschlägen mit Dringlichkeitsreihung erstellt und dem Arbeitgeber übergeben wird.
Gibt es ein Formerfordernis?
Es gibt keine Formvorschrift, die es zu befolgen gilt. Dennoch ist zu beachten, dass
der Arbeitgeber weiß, was zu verbessern ist (Entscheidungsgrundlage für Maßnahmen), und
der Arbeitgeber (und andere) die Tätigkeit der Präventivfachkraft nachvollziehen kann (auch im Sinne der Kontrolle).
Worauf ist besonders zu achten?
Es gibt geringfügige – den Präventivfachkräften bekannte – Unterschiede in den Anforderungen, wenn die Betreuung im
Präventionszeitenmodell (Betriebe/Arbeitsstätten mit mehr als 50 Arbeitnehmern),
Begehungsmodell (Betrieb mit weniger als 50 Arbeitnehmern pro Arbeitsstätte und mehr als 250 Arbeitnehmern österreichweit) oder im
Betreuungsmodell im Auftrag eines Präventionszentrums durch AUVAsicher erfolgt.
Welche Berichte der Präventivfachkräfte sind gemäß ArbeitnehmerInnenschutzgesetz erforderlich?
Jährlicher Tätigkeitsbericht:
Es handelt sich beim jährlichen Tätigkeitsbericht um eine schriftliche Zusammenfassung der Tätigkeit im betreffenden Kalenderjahr.
Zusätzlich sind im jährlichen Tätigkeitsbericht die Auswirkungen systematisch aufzubereiten.
Schließlich sind jedenfalls Verbesserungsvorschläge anzuführen.
Bericht an Arbeitsschutzausschuss (ASA): In größeren Betrieben, in denen ein Arbeitsschutzausschuss einzurichten ist, muss außerdem mündlich oder schriftlich über die Tätigkeit berichtet werden. Der schriftliche Bericht ist dann erforderlich, wenn eine persönliche Teilnahme am Arbeitsschutzausschuss nicht möglich ist.
Welches Mindestmaß an Information kann von jeder Aufzeichnung und jedem Bericht erwartet werden?
Beantwortet man sogenannte „W-Fragen“, sind Anforderungen an die Dokumentation bereits erfüllt. Besonders wichtig sind die Fragen nach dem Wann, Was und Wer.
Die Antwort auf das Wann enthält naheliegenderweise
Datum und
Uhrzeit.
Was getan wurde, wird durch die Angaben zu durchgeführten Tätigkeiten und Ergebnissen beantwortet. Dies könnte sein:
Organisation der Ersten Hilfe,
Überprüfung und Anpassung der Evaluierung,
Unterstützung bei Auswahl von Arbeitsstoffen,
Beratung zur Arbeitsplatzgestaltung,
Beratung zur Wiedereingliederungsteilzeit,
…
Wer im Zuge der Begehung/Beratung etc. beteiligt war, ist vor allem für die spätere Nachvollziehbarkeit wichtig. Der beteiligte Personenkreis gibt darüber Auskunft. Wichtig ist es, nicht nur die Funktionen anzugeben, sondern auch die Namen der Personen, da sonst Personalrochaden oder Neubesetzungen von Positionen zu Verwirrung führen könnten. Z. B.: SFK, BR, AG, SVP, … jeweils mit Namen (!).
Arbeitgeber sind meistens Zielgruppe der Dokumentation. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Sprache verständlich und nachvollziehbar ist. Denn: Was nützen die besten Empfehlungen und Ideen, wenn sie nicht verstanden und deshalb nicht umgesetzt werden?
Elisabeth Schmied
Das Arbeitsrecht regelt nicht jede Form von Arbeit, sondern nur die Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Hauptbezugspunkt für alle arbeitsrechtlichen Regelungen ist der Arbeitnehmer.
Das Arbeitsrecht gliedert sich in zwei Teilbereiche, das Individualarbeitsrecht und das kollektive Arbeitsrecht.
Das Individualarbeitsrecht regelt die Beziehungen zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber, insbesondere die Anbahnung und den Abschluss des Arbeitsvertrags, die Rechte und Pflichten während des aufrechten Arbeitsverhältnisses sowie dessen Beendigung. Neben dem Arbeitsvertragsrecht wird dem Individualarbeitsrecht auch das Arbeitnehmerschutzrecht zugeordnet.
Das kollektive Arbeitsrecht umfasst das Berufsverbandsrecht (dieses betrifft die überbetriebliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber), das Kollektivvertragsrecht, das Arbeitskampfrecht und das Betriebsverfassungsrecht.
7.1.2Funktionen des Arbeitsrechts
Schutzfunktion: Gewährleistung gerechter Arbeitsbedingungen durch zwingende Mindestarbeitsbedingungen und Arbeitnehmerschutzbestimmungen. Die meisten arbeitsrechtlichen Normen sind einseitig zwingendes Recht (unabdingbar). Sie können somit durch niedrigerrangiges Recht nur zum Vorteil, nicht aber zum Nachteil der Arbeitnehmer abgeändert werden.
Ausgleichsfunktion: Unter Berücksichtigung der meist schwächeren Stellung des Arbeitnehmers soll ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber geschaffen und ein „Verhandlungsgleichgewicht“ hergestellt werden.
Friedensfunkton: Vor allem das kollektive Arbeitsrecht trägt dazu bei, das Entstehen sozialer Konflikte (z. B. Streiks) zu vermeiden und bestehende Konflikte zu lösen.
„Beschäftigung“ ist ein allgemein gehaltener sprachlicher Begriff, der primär nichts über die rechtliche Qualifikation aussagt. Obwohl eine strikte Abgrenzung zwischen den einzelnen Beschäftigungsformen bzw. die Subsumierung unter eine bestimmte Beschäftigungsform schwierig sein kann, ist sie dennoch für die Anwendung der richtigen Rechtsvorschriften unumgänglich.
7.1.3.1Arbeitsvertrag/Dienstvertrag
Arbeitnehmer ist, wer sich gegen Entgelt auf eine gewisse Zeit zur Arbeitsleistung in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet.
Elemente der persönlichen Abhängigkeit sind:
völlige Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb
Weisungsgebundenheit
Kontrollunterworfenheit
disziplinäre Verantwortlichkeit
höchstpersönliche Erbringung der Arbeitsleistung
keine eigenen Betriebsmittel
Da der Gesetzgeber unterstellt, dass das Entgelt aus einem Arbeitsverhältnis die einzige Einnahmequelle des Arbeitnehmers darstellt, ergibt sich neben der persönlichen auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit.
Ein freier Dienstvertrag liegt vor, wenn sich jemand gegen Entgelt verpflichtet, für einen anderen seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, ohne sich in persönliche Abhängigkeit zu begeben. Diese persönliche Unabhängigkeit besteht vor allem darin, dass keine Bindung an Arbeitszeit und Arbeitsort besteht. Der freie Dienstnehmer ist in den Betrieb des Arbeitgebers in der Regel nicht eingegliedert und kann sich vertreten lassen.
Freie Dienstnehmer sind bei der Gebietskrankenkasse zur Sozialversicherung anzumelden. Ansprüche aus arbeitsrechtlichen Bestimmungen (z. B. Urlaub, Krankenentgelt, kollektivvertraglicher Mindestlohn) bestehen allerdings nicht. Steuerrechtlich wird ein freier Dienstnehmer wie ein Selbstständiger behandelt und hat seine Einkünfte daher selbst zu versteuern.
Der Werkvertragsnehmer verpflichtet sich zur Erbringung eines bestimmten Erfolges bzw. zur Herstellung eines Werkes. Im Gegensatz zum Arbeitsvertrag handelt es sich um ein Zielschuldverhältnis. Der Werkvertragsnehmer trägt das volle Unternehmerrisiko und ist persönlich wie wirtschaftlich unabhängig. Er kann sich vertreten lassen und entweder einen Arbeitnehmer zur Erfüllung eines Auftrages einsetzen oder den Auftrag an einen Subunternehmer weitergeben.
7.1.4.1Rangordnung – Günstigkeitsprinzip
Arbeitsrechtliche Bestimmungen finden sich in Gesetzen, Kollektivverträgen, Satzungen sowie Betriebsvereinbarungen und stehen zueinander in folgender Rangordnung:
Gesetz
Verordnung
Kollektivvertrag
Betriebsvereinbarung
Arbeitsvertrag
Aus dieser Rangordnung ergibt sich das im gesamten Arbeitsrecht geltende Günstigkeitsprinzip. Demnach kann eine Bestimmung unteren Rangs niemals für den Arbeitnehmer Schlechteres regeln als die ranghöhere Norm.
Beispiel: Das Urlaubsgesetz gewährt jedem Arbeitnehmer einen jährlichen Urlaubsanspruch von fünf Wochen. Aufgrund des Günstigkeitsprinzips kann mit dem Arbeitnehmer ein jährlicher Urlaubsanspruch von sieben Wochen, nicht aber von nur vier Wochen vereinbart werden.
7.1.4.2Arbeitsrechtliche Sondergesetze
Die wichtigsten arbeitsrechtlichen Sondergesetze sind:
Angestelltengesetz (AngG)
Urlaubsgesetz (UrlG)
Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG)
Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG)
Berufsausbildungsgesetz (BAG)
Gleichbehandlungsgesetz (GlBG)
Väterkarenzgesetz (VKG)
Die wichtigsten Sondergesetze mit Arbeitnehmerschutzcharakter sind:
ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG)
Arbeitsinspektionsgesetz (ArbIG)
Arbeitszeitgesetz (AZG)
Arbeitsruhegesetz (ARG)
Nachtschwerarbeitsgesetz (NSchG)
Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetz (KJBG)
Mutterschutzgesetz (MSchG)
Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG)
Kollektivverträge sind schriftliche Vereinbarungen zwischen den kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber und Arbeitnehmer über Angelegenheiten, deren Regelung durch das Gesetz dem Kollektivvertrag übertragen wird.
Kollektivvertragsfähig, d. h., berechtigt einen Kollektivvertrag abzuschließen, sind:
kraft Gesetzes: gesetzliche Interessenvertretungen der Arbeitgeber (Fachorganisationen der WKÖ) und Arbeitnehmer (Fachgewerkschaften des ÖGB) sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts als Arbeitgeber
nach Zuerkennung durch das Bundeseinigungsamt: freiwillige Berufsvereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie Vereine als Arbeitgeber.
In Kollektivverträgen finden sich insbesondere:
der Geltungsbereich (räumlicher, fachlicher und persönlicher)
Mindestlöhne bzw. Mindestgehälter
Arbeitszeitregelungen
Zulagen und Zuschläge
Sonderzahlungen
Kündigungsfristen für Arbeiter (bis 30.06.2021)
7.1.4.4Die Betriebsvereinbarung
Eine Betriebsvereinbarung ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen Betriebsinhaber und Betriebsrat über Angelegenheiten, deren Regelung durch Gesetz oder Kollektivvertrag der Betriebsvereinbarung übertragen wird.
Mögliche Regelungsinhalte:
betriebliche Arbeitszeitgestaltung (z. B. Gleitzeit, Durchrechnung)
Einführung von Kontrollmaßnahmen und technischen Systemen zur Kontrolle von Arbeitnehmern, sofern diese Maßnahmen die Menschenwürde berühren können (z. B. Videoüberwachung; Telefonanlagen, die sämtliche Verbindungsdaten aufzeichnen)
allgemeine betriebliche Ordnungsvorschriften (z. B. Alkohol- und Rauchverbote)
Pausenzeiten und Festlegung der Lage der Arbeitszeit
Gewinnbeteiligungssysteme
7.1.4.5Gewohnheitsrecht – betriebliche Übung
In der Praxis gewähren Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern oft freiwillige Leistungen, die zu einer betrieblichen Übung bzw. zu einem Gewohnheitsrecht werden können.
Wird die freiwillige Leistung regelmäßig gewährt, ohne auf die Freiwilligkeit und Einmaligkeit hinzuweisen, entsteht aufseiten des Arbeitnehmers ein Rechtsanspruch auf diese Leistung, die der Arbeitgeber einseitig nicht mehr einstellen kann.
Das Entstehen einer betrieblichen Übung kann vermieden werden, indem bei jeder Auszahlung auf der Lohnabrechnung ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es sich um eine Zuwendung handelt, die
einmalig,
freiwillig und
ohne Rechtsanspruch für die Zukunft
ausbezahlt wird.
Unter Lohn (Arbeiter) bzw. Gehalt (Angestellter) versteht man die Bezahlung der für die vereinbarte Normalarbeitszeit erbrachten Arbeitsleistung.
Der Entgeltbegriff geht weiter und umfasst neben dem Lohn bzw. Gehalt auch geleistete Überstunden, Provisionen, Prämien und Sonderzahlungen. Nicht ins Entgelt einzurechnen sind Aufwandsentschädigungen wie Kilometergelder, Diäten und manche Zulagen.
Die Begriffe Lohn bzw. Gehalt und Entgelt sind streng zu unterscheiden, da die Bemessungsgrundlage für unterschiedlichste Ansprüche entweder (nur) der Lohn bzw. das Gehalt oder das Entgelt sein kann!
Beispiele:
In einem Kollektivvertrag wird geregelt, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Weihnachtsremuneration in Höhe eines Monatslohns hat.
Die Abfertigung (alt) wird auf Basis des letzten Entgelts berechnet.
Im Krankenstand hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Krankenentgelt, im Urlaub auf Urlaubsentgelt.
Bei Lehrlingen wird anstelle von Lohn bzw. Gehalt der Begriff Lehrlingseinkommen verwendet.
Das Angestelltengesetz definiert Angestelltentätigkeiten als
kaufmännische Dienste (z. B. Außendienstmitarbeiter, Ein- und Verkauf, Buchhaltung, Lohnverrechnung),
höhere nicht kaufmännische Dienste (z. B. Techniker, Konstrukteur, Ingenieur) oder
Kanzleiarbeiten (z. B. Schreibarbeiten, Fakturieren, Kassatätigkeit).
Die Abgrenzung zum Arbeiter ergibt sich aus einem Umkehrschluss: Wer keine Angestelltentätigkeit erbringt und in keinem Lehrverhältnis steht, ist als Arbeiter anzusehen.
Aus der Zugehörigkeit zu einer der beiden Gruppen ergeben sich unterschiedliche rechtliche Grundlagen. So gilt für Angestellte ein einheitliches Gesetz (Angestelltengesetz), welches den Großteil der Rechte und Pflichten der Angestellten regelt (Entgeltfortzahlung, Konkurrenzverbot, Kündigung, Abfertigung usw.). Für Arbeiter ergeben sich die Rechte und Pflichten aus mehreren Sondergesetzen (Entgeltfortzahlungsgesetz, Arbeiterabfertigungsgesetz, Gewerbeordnung usw.).
Auch gibt es für beide Arbeitnehmergruppen gesonderte Kollektivverträge.
Die Beurteilung, welcher Arbeitnehmergruppe ein Arbeitnehmer zuzuordnen ist, hat aufgrund der tatsächlich und überwiegend ausgeübten Tätigkeit zu erfolgen.
Im November 2017 wurde eine weitreichende Angleichung der Rechtsstellung von Arbeitern und Angestellten im Nationalrat beschlossen. Mangels Schaffung eines einheitlichen Arbeitnehmerbegriffs kam es nicht zu einer gänzlichen Gleichstellung.
Die Neuerungen treten schrittweise bis 30.06.2021 in Kraft und betreffen insbesondere Änderungen der Regeln zur Entgeltfortzahlung sowie der Kündigungsfristen.
Der Betriebsrat ist das Interessenvertretungsorgan der Arbeitnehmer auf Betriebsebene. Seine Funktionsperiode beträgt fünf Jahre.
Der Betriebsrat verfügt über zahlreiche Befugnisse. Insbesondere handelt es sich dabei um:
Überwachungs- und Kontrollrechte (z. B. Einhaltung des Kollektivvertrages, der Betriebsvereinbarungen und Arbeitnehmerschutzbestimmungen)
Informationsrechte (z. B. über die Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie laufende Angelegenheiten der Betriebsführung)
Interventionsrechte (z. B. Verbesserung der Arbeitsbedingungen oder der betrieblichen Aus- und Weiterbildung)
Beratungsrecht (z. B. hat der Betriebsinhaber auf Verlangen des Betriebsrates vierteljährlich gemeinsame Beratungen abzuhalten)
Abschluss von Betriebsvereinbarungen
Mitwirkung bei Kündigungen und Entlassungen („allgemeiner Bestandschutz“)
Mitwirkung bei Versetzungen
Die Einrichtung eines Betriebsrates erfolgt durch eine Betriebsratswahl. Die Entscheidung darüber obliegt ausschließlich der Belegschaft.
Die Wahl eines Betriebsrates setzt voraus, dass im Betrieb mindestens fünf Arbeitnehmer beschäftigt werden. Im Betrieb beschäftigte Familienangehörige des Arbeitgebers sind nicht mitzuzählen.
Auf die Mindestzahl von fünf Arbeitnehmern sind neben den Vollzeitbeschäftigten
Teilzeitbeschäftige,
geringfügig Beschäftigte,
karenzierte Arbeitnehmer,
Mitarbeiter, die den Präsenz- oder Zivildienst absolvieren, und
Arbeitnehmer, die längerfristig (mehr als ein halbes Jahr) in den Betrieb überlassen sind,
anzurechnen.
Die Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder ist von der Anzahl der Arbeitnehmer abhängig.
Anzahl der Arbeitnehmer | Anzahl der Betriebsratsmitglieder |
5–9 | 1 |
10–19 | 2 |
20–50 | 3 |
51–100 | 4 |
Für je weitere 100 Arbeitnehmer erhöht sich die Anzahl der Betriebsratsmitglieder um jeweils eine weitere Person.
Auf Antrag des Betriebsrates muss die folgende Anzahl von Betriebsratsmitgliedern unter Fortzahlung des Entgelts freigestellt werden:
Anzahl der Arbeitnehmer | Anzahl der freizustellenden Betriebsräte |
150 | 1 |
> 700 | 2 |
> 3.000 | 3 |
Das Mandat des Betriebsratsmitgliedes ist ein Ehrenamt. Bei der Ausübung ihrer Tätigkeit sind die Mitglieder des Betriebsrates weisungsfrei. Sie sind nur der Betriebsversammlung verantwortlich.
Für Betriebsräte besteht ein besonderer Kündigungs- und Entlassungsschutz. Dieser besteht darin, dass eine Kündigung oder Entlassung nur nach vorheriger Zustimmung des Arbeits- und Sozialgerichtes ausgesprochen werden darf.
7.2Begründung von Arbeitsverhältnissen
7.2.1Abschluss von Arbeitsverträgen
Ein Arbeitsvertrag kommt durch übereinstimmende Willenserklärungen über die wesentlichen Vertragsbestandteile (Erbringung einer bestimmten Arbeitsleistung – Zahlung des Entgelts) zustande.
Der Abschluss eines Arbeitsvertrages ist an keine bestimmte Form gebunden (Ausnahme: Lehrvertrag) und kommt daher wirksam schriftlich, mündlich oder schlüssig zustande.
Wird der Arbeitsvertrag mündlich geschlossen, ist der Arbeitgeber verpflichtet dem Arbeitnehmer unverzüglich nach Beginn des Arbeitsverhältnisses eine schriftliche Aufzeichnung über die wesentlichen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag (Dienstzettel) auszuhändigen.
Der Dienstzettel hat folgenden gesetzlichen Mindestinhalt:
Name und Anschrift des Arbeitgebers
Name und Anschrift des Arbeitnehmers
Beginn des Arbeitsverhältnisses
bei befristeten Arbeitsverhältnissen deren Ende
Kündigungsfrist und Kündigungstermin
Arbeitsort
Einstufung
vorgesehene Verwendung
Anfangsbezug (Grundgehalt- bzw. -lohn, weitere Entgeltbestandteile, Sonderzahlungen)
Fälligkeit des Entgelts
Ausmaß des jährlichen Erholungsurlaubes
vereinbarte tägliche oder wöchentliche Normalarbeitszeit
anwendbarer Kollektivvertrag
Mitarbeitervorsorgekasse
Die Verpflichtung einen Dienstzettel auszustellen, entfällt insbesondere dann, wenn dem Arbeitnehmer ein schriftlicher Arbeitsvertrag ausgehändigt wurde oder das Arbeitsverhältnis nicht länger als ein Monat dauert.
Beachte: Da es sich beim Arbeitsvertrag im Gegensatz zum Dienstzettel um eine Vereinbarung handelt, kommt dem Vertrag in einem Gerichtsverfahren eine wesentlich höhere Beweiskraft zu. Dem Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrages ist somit jedenfalls der Vorzug zu geben!
Arbeitsverträge können befristet oder unbefristet abgeschlossen werden.
Ein unbefristeter Arbeitsvertrag liegt vor, wenn das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit abgeschlossen wird. Soll das Arbeitsverhältnis beendet werden, bedarf es eines eigenen Beendigungsaktes (z. B. Kündigung, einvernehmliche Auflösung, Entlassung, Austritt).
Bei einem befristeten Arbeitsvertrag wird das Ende bereits bei Beginn des Arbeitsverhältnisses vereinbart. Der Endtermin kann kalendermäßig festgelegt oder sonst objektiv bestimmbar sein (z. B. für die Dauer der Karenzvertretung eines bestimmen Arbeitnehmers).
Der Vorteil eines befristeten Arbeitsverhältnisses liegt im automatischen Zeitablauf.
Ein Nachteil kann darin liegen, dass ein befristetes Arbeitsverhältnis vor Ablauf der vereinbarten Dauer nur einvernehmlich oder aus wichtigem Grund gelöst werden kann. Die Vereinbarung einer Kündigungsmöglichkeit wird von der Rechtsprechung nur für längere Befristungen (i. d. R. länger als sechs Monate) anerkannt.
Die mehrfache unmittelbare Aneinanderreihung von befristeten Arbeitsverhältnissen (Kettendienstvertrag) ist unzulässig. Der Arbeitnehmer verliert durch immer wieder befristet abgeschlossene Arbeitsverhältnisse einerseits seinen Kündigungsschutz, andererseits erleidet er Nachteile bei jenen Ansprüchen, die sich nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses richten (z. B. Entgeltfortzahlung im Krankenstand, Jubiläumsgelder).
Innerhalb der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis von beiden Seiten ohne Angabe von Gründen mit sofortiger Wirkung aufgelöst werden.
Bei Arbeitern ergibt sich die Probezeit i. d. R. aus dem Kollektivvertrag. Besteht eine entsprechende kollektivvertragliche Regelung, muss keine zusätzliche Vereinbarung darüber getroffen werden. Die Probezeit beträgt bei Arbeitern – je nach Kollektivvertrag – eine Woche bis längstens ein Monat.
Angestelltenkollektivverträge enthalten oft keine Probezeitregelung. Um sich die Möglichkeit einer Probezeitlösung zu wahren, muss mit dem Angestellten eine Probezeit im Arbeitsvertrag vereinbart werden. Die Probezeit darf auch bei Angestellten längstens ein Monat betragen.
Beachte: Sieht der Kollektivvertrag keine Probezeit vor und wurde mit dem Angestellten auch keine entsprechende Vereinbarung getroffen, kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mitunter nur durch Kündigung beenden. Die einzuhaltende Kündigungsfrist beträgt für den Arbeitgeber sechs Wochen!
Die Probezeit für Lehrlinge beträgt drei Monate.
Eine Verlängerung der Probezeit ist unwirksam.
Auch mit besonders kündigungsgeschützten Personen (werdende Mütter, begünstigte Behinderte, Präsenz- und Zivildiener) kann das Arbeitsverhältnis während der Probezeit gelöst werden.
Der Arbeitnehmer ist jedenfalls vor Arbeitsantritt bei der Gebietskrankenkasse zur Sozialversicherung anzumelden!
7.3Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis
7.3.1Arbeitsvertragliche Hauptleistungspflichten
Als Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag stehen einander die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers und die Entgeltpflicht des Arbeitgebers gegenüber.
Die Hauptpflicht des Arbeitgebers besteht darin, dem Arbeitgeber das geschuldete Entgelt zu bezahlen. Die Höhe des Entgelts wird durch Kollektivvertrag und/oder Arbeitsvertrag bestimmt. Die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers besteht auch in bestimmten Fällen der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers (z. B. Krankenstand, Auftragsmangel, Dienstfreistellung). Der Arbeitgeber trägt somit das Beschäftigungsrisiko.
Die Hauptpflicht des Arbeitnehmers besteht darin, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verrichtung der vereinbarten Dienste zur Verfügung zu stellen. Der Arbeitnehmer schuldet keinen bestimmten Erfolg, sondern das einem durchschnittlichen Sorgfaltsmaßstab entsprechende Bemühen.
7.3.2Arbeitsvertragliche Nebenpflichten
Die wichtigste arbeitsvertragliche Nebenpflicht des Arbeitgebers besteht in der Fürsorgepflicht. Unter diese sind vielfältige Schutzpflichten zu subsumieren, wie insbesondere:
der Schutz des Lebens und der Gesundheit
die Rücksichtnahme auf Ehre und Sittlichkeit
die Zurverfügungstellung von Arbeitnehmerschutzausrüstung
die Ergreifung aller erforderlichen Arbeitnehmerschutzmaßnahmen
die Gleichbehandlungspflicht
die Abhilfeverpflichtung in Mobbingfällen
die Verpflichtung, den Arbeitnehmer zum Verbrauch seines Jahresurlaubes anzuhalten
Der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers steht die Treuepflicht des Arbeitnehmers gegenüber. Diese umfasst u. a.:
das Verbot der Weitergabe von Betriebsgeheimnissen
das Verbot der Geschenkannahme
das Verbot einer abträglichen Nebenbeschäftigung
das Konkurrenzverbot
die Anzeigepflicht im Falle von Störungen im Betrieb
die Verpflichtung zur Benützung der Schutzaus- und -einrichtungen
das Verbot der vorsätzlichen oder fahrlässigen Herbeiführung der Arbeitsunfähigkeit
7.4Fälle der Weiterzahlung des Entgelts
Bei bestimmten Arbeitsverhinderungen besteht für den Arbeitgeber die Verpflichtung zur Weiterzahlung des Entgelts.
Es wird zwischen Arbeitsverhinderungen, die der Sphäre des Arbeitnehmers zuzurechnen sind, wie insbesondere
Krankheit, Freizeitunfall und Arbeitsunfall,
wichtige persönliche Hinderungsgründe (z. B. Heirat, Begräbnis, Umzug, Behördenwege),
Pflegefreistellung,
Urlaub,
Feiertag und
Postensuchtage,
und solchen, die der Arbeitgebersphäre zugerechnet werden, wie
Auftragsmangel,
Betriebsstörung und
Dienstfreistellung,
unterschieden.
7.4.1Entgeltfortzahlung im Krankenstand
Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Freizeitunfall sowie im Falle einer Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalls, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind:
Der Arbeitnehmer darf die Erkrankung bzw. den Freizeitunfall nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben.
Die Arbeitsverhinderung muss dem Arbeitgeber unverzüglich gemeldet werden (Mitteilungspflicht).
Eine ärztliche Bestätigung über Grund und voraussichtliche Dauer hat der Arbeitnehmer nur vorzulegen, wenn er vom Arbeitgeber dazu in jedem einzelnen Krankheitsfall ausdrücklich aufgefordert wurde!
Kommt der Arbeitnehmer seiner Mitteilungs- bzw. Nachweispflicht nicht nach, verliert er für die Dauer der Säumnis den Entgeltfortzahlungsanspruch.
Beachte: Vermeiden Sie überstürzte Entlassungen. Bringt der Arbeitnehmer eine ärztliche Bestätigung nach, liegt mitunter kein Entlassungsgrund vor und der Arbeitnehmer könnte einen Anspruch auf Kündigungsentschädigung geltend machen.
Der Zeitraum, für den der Arbeitgeber das volle Entgelt fortzuzahlen hat, richtet sich nach der Art der Arbeitsunfähigkeit und nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses.
Ist der Zeitraum für den vollen Entgeltanspruch erschöpft, hat der Arbeitnehmer noch einen Anspruch in der Höhe des halben Entgelts, das restliche Entgelt wird von der Gebietskrankenkasse als Krankengeld ausbezahlt.
Der Anspruch für Krankheit bzw. Freizeitunfall besteht pro Arbeitsjahr. Hingegen löst jeder neue Arbeitsunfall einen neuen Entgeltanspruch in Höhe von acht bzw. zehn Wochen unabhängig vom Arbeitsjahr aus.
Ein Arbeitsunfall liegt vor, wenn der Arbeitnehmer während seines Arbeitseinsatzes oder auf direktem Weg von oder zur Arbeitsstätte verunglückt.
Bei einem Arbeitsunfall hat der Arbeitgeber das Arbeitsinspektorat, die AUVA und gegebenenfalls den Betriebsrat zu verständigen.
Bei der Entgeltfortzahlung ist zu beachten, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Krankenentgelt hat.
Allfällig vorher geleistete Überstunden oder erhaltenen Provisionen müssen somit auch in Zeiten des Krankenstandes vom Arbeitgeber geleistet werden.
Der Arbeitnehmer ist so zu stellen, als würde er seine Arbeitsleistung erbringen. Er darf durch Zeiten des Krankenstandes nicht schlechter gestellt werden.
Wurden Überstunden in unregelmäßigem Ausmaß geleistet, so ist zur Ermittlung der Überstundenzahl, die in das Krankenentgelt einzubeziehen ist, ein Durchschnitt der letzten 13 voll gearbeiteten Wochen heranzuziehen. Bei Provisionen ist ein Durchschnitt der letzten 12 Monate heranzuziehen. Die Berechnung des Krankenentgeltes erfolgt daher nach dem „Ausfallsprinzip“.
Reicht eine Arbeitsverhinderung von einem Arbeitsjahr in das nächste, gilt die im neuen Arbeitsjahr liegende Erkrankung als Erkrankung im neuen Arbeitsjahr (und löst somit wieder einen vollen Entgeltfortzahlungsanspruch aus). Dies gilt auch dann, wenn im alten Arbeitsjahr wegen Ausschöpfung des Anspruches keine Entgeltsfortzahlung mehr bestand.
Mit 01.07.2018 kam es hinsichtlich der Entgeltfortzahlung im Krankenstand zu einer Angleichung zwischen Arbeitern und Angestellten. Die Systematik der Arbeiter wurde auch für Angestellte übernommen.
Eine Angleichung erfolgte auch hinsichtlich Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Die „privilegierte Entgeltfortzahlung der Arbeiter“ bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten wurde auch für Angestellte übernommen. Es besteht daher bei jedem Arbeitsunfall (Berufskrankheit) ein Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung von 8 Wochen (nach 15-jähriger Betriebszugehörigkeit 10 Wochen) pro Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit, unabhängig von sonstigen Krankenständen.
Die einheitliche Entgeltfortzahlung für Arbeiter und Angestellte stellt sich in Tabelle 1 folgendermaßen dar.
Tab. 1: Entgeltfortzahlung für Arbeiter und Angestellte
Dienstjahr | Anspruch bei Krankheit/Freizeitunfall | Anspruch bei Berufskrankheit/Arbeitsunfall |
im 1. | 6 Wochen voll + 4 Wochen halb | 8 Wochen voll |
vom 2. bis zum vollendeten 15. | 8 Wochen voll + 4 Wochen halb | 8 Wochen voll |
vom 16. bis zum vollendeten 26. | 10 Wochen voll + 4 Wochen halb | 10 Wochen voll |
ab dem 26. | 12 Wochen voll + 4 Wochen halb | 10 Wochen voll |
Wird ein Arbeitnehmer während eines Krankenstandes gekündigt, endet zwar das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist (und des Kündigungstermins), der Arbeitnehmer kann aber durch die Kündigung nicht um jenes Krankenentgelt gebracht werden, welches ihm ohne Kündigung zugestanden wäre.
Aus diesem Grund besteht der Anspruch auf Entgeltfortzahlung über das arbeitsrechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus, bis der Arbeitnehmer wieder gesund ist, längstens aber bis zur Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruches.
Dasselbe gilt nun auch für einvernehmliche Auflösungen im Krankenstand. Auch kann die Entgeltfortzahlung nicht vermieden werden, wenn das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf einen bevorstehenden Krankenstand (z. B. Kuraufenthalt, Operation) einvernehmlich gelöst wird.
Die urlaubsrechtlichen Bestimmungen finden sich im Urlaubsgesetz, das für alle Arbeitnehmer gilt, deren Arbeitsverhältnis auf einem privatrechtlichen Vertrag beruht. Kollektivverträge enthalten in der Regel keine eigenen Urlaubsbestimmungen.
Während des Urlaubes behält der Arbeitnehmer den Anspruch auf sein Entgelt. Für die Berechnung des Urlaubsentgelts gelten obige Ausführungen zum Krankenentgelt. Auch hier ist somit das Ausfallsprinzip anzuwenden.
Das Urlaubsausmaß beträgt fünf Wochen (30 Werktage) und erhöht sich nach dem 25. Arbeitsjahr auf sechs Wochen (36 Werktage).
Der Urlaubsanspruch entsteht in den ersten sechs Monaten nur aliquot, nach sechs Monaten und in weiterer Folge zu Beginn jedes neuen Arbeitsjahres in vollem Ausmaß. Das Arbeitsjahr bestimmt sich nach dem Tag des Eintritts.
Zeitpunkt des Urlaubsantritts und Dauer des Urlaubs sind zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu vereinbaren. Ein einseitiger Urlaubsantritt bzw. einen Arbeitnehmer auf Urlaub zu „schicken“ ist unzulässig.
Der Urlaubsanspruch darf während des aufrechten Arbeitsverhältnisses nicht in Geld abgelöst werden. Absolutes Verbot der Urlaubsablöse!
Erkrankt der Arbeitnehmer während des Urlaubes, so wird der Urlaub unterbrochen, wenn
die Krankheit länger als drei Tage dauert,
weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt wurde,
nicht durch eine dem Erholungszweck widersprechende Erwerbstätigkeit bedingt ist,
eine unverzügliche Meldung an den Arbeitgeber erfolgt und
bei Arbeitsantritt unaufgefordert eine ärztliche Bestätigung vorgelegt wird.
Eine eigenmächtige Urlaubsverlängerung ist unzulässig!
Besteht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch ein offener Urlaubsanspruch, ist dieser in Geld als sogenannte Urlaubsersatzleistung abzugelten.
Die Pflegefreistellung ist im Urlaubsgesetz geregelt. Es handelt sich dabei aber nicht um Urlaub, sondern um einen Sonderfall der persönlichen Dienstverhinderung wegen familiären Pflichten.
Demnach hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts bis zum Höchstausmaß seiner regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit pro Arbeitsjahr, wenn er an der Arbeitsleistung infolge einer
Krankenpflegefreistellung oder
Betreuungsfreistellung oder
Begleitfreistellung
an seiner Arbeitsleistung verhindert ist.
Anspruch auf Pflegefreistellung im Ausmaß einer weiteren regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit (2. Woche) hat der Arbeitnehmer wegen der notwendigen Pflege seines erkrankten Kindes, Wahl- oder Pflegekindes bzw. des im gemeinsamen Haushalt lebenden leiblichen Kindes des anderen Ehegattens, Lebensgefährten oder eingetragenen Partners, sofern das Kind das 12. Lebensjahr noch nicht überschritten hat, der Grundanspruch (1. Woche) verbraucht ist und der Arbeitnehmer aus einem anderen Rechtstitel (z. B. Kollektivvertrag) keinen Anspruch auf bezahlte Freistellung geltend machen kann.
Der Anspruch auf Krankenpflegefreistellung besteht, um
einen im gemeinsamen Haushalt lebenden erkrankten nahen Angehörigen oder
ein nicht im selben Haushalt lebendes leibliches Kind
zu pflegen.
Nahe Angehörige sind Ehegatten, Lebensgefährten, eingetragene Partner und Verwandte in gerader Linie (also vor allem Kinder, Enkelkinder, Eltern, Großeltern) sowie Wahl-, Pflege- und Stiefkinder. Der Begriff der Lebensgemeinschaft setzt ein Verhältnis voraus, das auch in wirtschaftlicher Hinsicht einer Ehe ähnlich eingerichtet ist.
Ein Anspruch auf Betreuungsfreistellung kann
wegen der notwendigen Betreuung seines (Stief-)Kindes oder
wegen der Betreuung des leiblichen Kindes des eingetragenen Partners oder Lebensgefährten
infolge des Ausfalls der Person, die das Kind sonst ständig betreut, durch Tod, schwere Erkrankung, Aufenthalt in einer Heil- oder Pflegeanstalt, Verbüßung einer Freiheitsstrafe oder eine andere Art der behördlichen Anhaltung
geltend gemacht werden.
Begleitfreistellung kann beansprucht werden
wegen der notwendigen Begleitung eines (Wahl- oder Pflege-)Kindes,
wegen der Begleitung des im gemeinsamen Haushalt lebenden Stiefkindes bzw. des leiblichen Kindes des eingetragenen Partners oder Lebensgefährten,
bei einem stationären Aufenthalt in einer Heil- oder Pflegeanstalt, sofern das Kind das 10. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
Eine Pflegefreistellung kann bei Vorliegen der Voraussetzungen einseitig angetreten werden.
7.4.4Sonstige Dienstverhinderungsgründe
Eine Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers besteht für Angestellte nach dem AngG und für Arbeiter nach dem ABGB auch bei anderen wichtigen persönlichen Dienstverhinderungen des Arbeitnehmers, soweit diese unverschuldet sind.
Praktisch bedeutsame Fallkonstellationen sind
wichtige familiäre Ereignisse (z. B. Entbindung der Ehegattin, Heirat, Beerdigung, Umzug) und
öffentlich-rechtliche Pflichten (z. B. Zeugenvorladung bei Gericht, unaufschiebbare Behördengänge).
Das AngG sowie die Regelungen im ABGB enthalten eine „Generalklausel“, wonach Angestellte und Arbeiter einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben, wenn sie durch andere wichtige, ihre Person betreffende Gründe ohne ihr Verschulden während einer verhältnismäßig kurzen Zeit an der Leistung ihrer Dienste verhindert sind.
Daneben enthalten auch Kollektivverträge Dienstverhinderungsgründe für unterschiedliche Anlässe bzw. Ereignisse.
Zu beachten ist, dass die kollektivvertraglichen Bestimmungen lediglich beispielhafte Aufzählungen sind.
7.4.4.1Entgeltfortzahlung bei Katastrophenhilfe
Seit mehreren Jahren wurde diskutiert, wie arbeitsrechtlich mit freiwilligen Helfern der Feuerwehr, des Roten Kreuzes oder anderer Institutionen umzugehen ist, die unter Umständen während der Dienstzeit einen Einsatz für diese Institution antreten.
Nach herrschender Lehre sind diese Fälle nicht als entgeltfortzahlungspflichtige Dienstverhinderungsgründe zu werten. Allerdings wird eine schuldhafte Verletzung der vertraglichen Pflichten verneint, sodass der Arbeitnehmer dem Dienst ohne Sanktionen fernbleiben kann, aber keinen Entgeltanspruch gegenüber seinem Arbeitgeber geltend machen kann.
Seit 01.09.2019 haben Arbeitnehmer nun einen Rechtsanspruch auf Fortzahlung des Entgelts, wenn sie wegen eines Einsatzes als freiwilliges Mitglied einer Katastrophenhilfsorganisation, eines Rettungsdienstes oder einer freiwilligen Feuerwehr bei einem Großschadensereignis oder als Mitglied eines Bergrettungsdienstes an der Dienstleistung verhindert sind. Als Großschadensereignis wird eine Schadenslage definiert, bei der während eines durchgehenden Zeitraums von zumindest acht Stunden insgesamt mehr als 100 Personen notwendig im Einsatz sind. Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch ist weiters, dass das Ausmaß und die Lage der Dienstfreistellung mit dem Arbeitgeber vereinbart wird.
Als Ausgleich für ihren Aufwand erhalten Arbeitgeber aus dem Katastrophenfond für die gewährte Entgeltfortzahlung eine Prämie in Höhe von pauschal EUR 200,– pro im Einsatz befindlichem Dienstnehmer und Tag.
7.5Beendigung von Arbeitsverhältnissen
Das Arbeitsverhältnis kann auf folgende Arten beendet werden:
Lösung während der Probezeit
Zeitablauf
einvernehmliche Auflösung
Kündigung durch den Arbeitnehmer oder Arbeitgeber
Entlassung
Austritt
Tod des Arbeitnehmers
7.5.1Lösung während der Probezeit
Während der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil jederzeit, ohne Angabe von Gründen und mit sofortiger Wirkung gelöst werden.
Auch mit Personen, die einen besonderen Kündigungsschutz genießen (Mutterschutzgesetz, Arbeitsplatzsicherungsgesetz, Arbeitsverfassungsgesetz, Behinderteneinstellungsgesetz), kann das Arbeitsverhältnis während der Probezeit beendet werden.
Wurde ein befristetes Arbeitsverhältnis abgeschossen, endet dieses automatisch durch Zeitablauf. Eine vorzeitige Auflösung ist nur aus wichtigem Grund möglich. Eine Kündigung von befristeten Arbeitsverhältnissen wird von der Rechtsprechung nur bei langen Befristungen anerkannt.
7.5.3Einvernehmliche Auflösung
Die einvernehmliche Lösung ist ein Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Kollektivvertragliche bzw. gesetzliche Kündigungsfristen und Kündigungstermine müssen nicht beachtet werden.
Schriftform ist nur bei bestimmten Personengruppen erforderlich (minderjährige Schwangere, Präsenzdiener, Zivildiener). Dennoch empfiehlt sich auch in allen anderen Fällen die Schriftform.
Die Kündigung ist eine „einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung“. Sie muss, um rechtswirksam zu sein, dem Vertragspartner zur Kenntnis gelangen, unabhängig davon, ob er damit einverstanden ist oder nicht. Eine Kündigung kann schriftlich oder mündlich erfolgen.
Für die Praxis ist aus Beweisgründen jedenfalls die Schriftform zu empfehlen, wobei jedoch darauf zu achten ist, dass die Kündigungsfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn das Schreiben zugegangen ist (d. h. mit Zustellung oder dem ersten Tag der Hinterlegung).
Einige Kollektivverträge sehen ausdrücklich eine schriftliche Kündigung vor. Wird die Kündigung in diesen Fällen nur mündlich ausgesprochen, ist diese unwirksam, die Kündigungsfrist beginnt nicht zu laufen und das Arbeitsverhältnis ist weiterhin aufrecht.
Während der Kündigungsfrist steht dem Arbeitnehmer bei Arbeitgeberkündigung ein Tag pro Woche zur Postensuche zu. Manche Kollektivverträge sehen Postensuchtage auch bei Arbeitnehmerkündigung vor.
Als Kündigungsfrist bezeichnet man die Zeit zwischen Ausspruch der Kündigung bzw. dem Zugang der Kündigung und dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Die kollektivvertraglich oder gesetzlich vorgesehenen Kündigungsfristen sind Mindestfristen.
Der Kündigungstermin ist der letzte Tag des Arbeitsverhältnisses bzw. der Tag, an dem das Arbeitsverhältnis endet.
Bei Arbeitern ergeben sich die Kündigungsfristen und -termine in der Regel aus dem Kollektivvertrag. Die Kündigungsfristen sind meist von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängig. Ist kein Kollektivvertrag anwendbar, sind Regelungen der Gewerbeordnung bzw. des ABGB heranzuziehen (14 Tage bzw. 1 Monat Kündigungsfrist).
Bei Angestellten hängt die Kündigungsfrist ebenfalls von der Dauer der Betriebszugehörigkeit ab. Als Kündigungstermin sieht das Angestelltengesetz das Quartal vor („Quartalskündigung“). Das heißt, der letzte Tag des Arbeitsverhältnisses muss auf den Letzten eines Quartals fallen!
Zulässig ist jedoch die Vereinbarung, dass das Arbeitsverhältnis auch zu jedem 15. und Letzten eines Kalendermonats enden kann. Eine entsprechende Vereinbarung ist jedenfalls zu empfehlen, da dadurch weitere Kündigungstermine geschaffen werden.
Oft sind die Kündigungsfristen unterschiedlich lang, je nachdem, ob es ich um eine Arbeitnehmer- oder eine Arbeitgeber-Kündigung handelt.
Werden Kündigungsfristen vom Arbeitgeber nicht eingehalten, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Kündigungsentschädigung (Bezahlung des Entgelts bis zu jenem Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis bei ordnungsgemäßer Kündigung geendet hätte).
Ab 01.07.2021 werden die Kündigungsfristen und Kündigungstermine der Arbeiter an jene der Angestellten angeglichen.
7.5.4.1Allgemeiner Kündigungsschutz
Gibt es im Betrieb einen Betriebsrat, muss dieser vor jeder Kündigung vom Arbeitgeber verständigt werden. Eine Verletzung dieser Verpflichtung macht die Kündigung unwirksam. Diese Mitwirkungsmöglichkeit des Betriebsrates bei Kündigungen wird allgemeiner Kündigungsschutz oder allgemeiner Bestandschutz genannt.
Der Betriebsrat hat drei Möglichkeiten, auf die erfolgte Verständigung über die beabsichtigte Kündigung zu reagieren:
ausdrückliche Zustimmung (Anfechtung der Kündigung wegen Sozialwidrigkeit ist in diesem Fall für den Arbeitnehmer nicht möglich)
die Kündigung begründet ablehnen (spricht der Arbeitgeber dennoch die Kündigung aus, kann diese vom Betriebsrat angefochten werden)
„Verschweigen“ (Anfechtungsmöglichkeit durch den Arbeitnehmer selbst möglich)
Unter Anfechtung versteht man eine Klage auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.
7.5.4.2Besonderer Kündigungsschutz
Folgende Arbeitnehmergruppen sind besonders kündigungsgeschützt und können daher nicht nach den eben dargestellten Modalitäten gekündigt werden:
Schwangere/Mütter; Schutz nach MSchG (Mutterschutzgesetz): Kündigung ist nach Zustimmung des Arbeits- und Sozialgerichtes möglich.
Präsenz- und Zivildiener; Schutz nach Arbeitsplatzsicherungsgesetz (APSG): Kündigung ist nach Zustimmung des Arbeits- und Sozialgerichtes möglich.
Begünstigte Behinderte; Schutz nach BEinstG (Behinderteneinstellungsgesetz): Kündigung ist nach Zustimmung des Behindertenausschusses (Bundessozialamt) möglich.
Betriebsräte; Schutz nach ArbVG (Arbeitsverfassungsgesetz):
Kündigung ist nach Zustimmung des Arbeits- und Sozialgerichtes möglich.
Von einer Entlassung spricht man, wenn die Beendigung des Dienstverhältnisses durch den Dienstgeber einseitig und mit sofortiger Wirkung (fristlos) ausgesprochen wird.
Zur Entlassung eines Dienstnehmers ist ein wichtiger Grund (Entlassungsgrund) zwingend erforderlich. Überdies muss die Entlassung unverzüglich ausgesprochen werden.
Die Entlassungsgründe sind für Angestellte im Angestelltengesetz, für Arbeiter in der Gewerbeordnung aufgezählt.
Nach dem Angestelltengesetz ist als wichtiger Grund, der einen Dienstgeber zur Entlassung eines Angestellten berechtigt, insbesondere anzusehen:
wenn der Angestellte im Dienst untreu ist, sich in seiner Tätigkeit ohne Wissen oder Willen des Dienstgebers von dritten Personen unberechtigte Vorteile zuwenden lässt (von einem Geschäftspartner des Dienstgebers ohne dessen Einwilligung eine Provision oder sonstige Belohnung annimmt) oder sich einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt (= Vertrauensunwürdigkeit);
wenn der Angestellte unfähig ist, die versprochenen oder die den Umständen nach angemessenen Dienste zu leisten;
wenn der Angestellte ohne Einwilligung des Dienstgebers ein selbstständiges kaufmännisches Unternehmen betreibt oder im Geschäftszweig des Dienstgebers für eigene oder fremde Rechnung Handelsgeschäfte macht oder dem gesetzlichen Verbot, im Geschäftszweig des Dienstgebers schädigende Geschäfte auf eigene oder fremde Rechnung zu machen (Konkurrenzverbot), zuwiderhandelt;
wenn der Angestellte ohne einen rechtmäßigen Hinderungsgrund während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Dienstleistung unterlässt oder sich beharrlich weigert, seine Dienste zu leisten oder sich durch den Gegenstand der Dienstleistung gerechtfertigten Anordnungen des Dienstgebers zu fügen oder andere Bedienstete zum Ungehorsam gegen den Dienstgeber zu verleiten sucht;
wenn der Angestellte durch eine längere Freiheitsstrafe oder durch Abwesenheit während einer den Umständen nach erheblichen Zeit, ausgenommen wegen Krankheit oder Unglücksfall, an der Verrichtung seiner Dienste gehindert ist;
wenn der Angestellte sich Tätigkeiten, Verletzungen der Sittlichkeit oder erhebliche Ehrverletzungen gegen den Dienstgeber, dessen Stellvertreter, deren Angehörige oder gegen Mitbedienstete zu Schulden kommen lässt.
Ein Arbeiter kann nach der Gewerbeordnung nur entlassen werden, wenn er:
bei Abschluss des Arbeitsvertrages den Gewerbeinhaber durch Vorzeigung falscher oder verfälschter Ausweiskarten oder Zeugnisse hintergangen oder ihn über das Bestehen eines anderen, den Arbeiter gleichzeitig verpflichtenden Arbeitsverhältnisses in einen Irrtum versetzt hat;
zu der mit ihm vereinbarten Arbeit unfähig befunden wird;
der Trunksucht verfällt und wiederholt fruchtlos verwarnt wurde;
sich eines Diebstahls, einer Veruntreuung oder einer sonstigen strafbaren Handlung schuldig macht, welche ihn des Vertrauens des Gewerbeinhabers unwürdig erscheinen lässt;
ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis verrät oder ohne Einwilligung des Gewerbeinhabers ein der Verwendung beim Gewerbe abträgliches Nebengeschäft betreibt (Konkurrenzverbot);
die Arbeit unbefugt verlassen hat oder beharrlich seine Pflichten vernachlässigt oder die übrigen Arbeiter oder die Hausgenossen zum Ungehorsam, zur Auflehnung gegen den Gewerbeinhaber, zu unordentlichem Lebenswandel oder zu unsittlichen oder gesetzwidrigen Handlungen zu verleiten sucht;
sich einer groben Ehrenbeleidigung, Körperverletzung oder gefährlichen Drohung gegen den Gewerbeinhaber oder dessen Hausgenossen oder gegen die übrigen Arbeiter schuldig macht oder ungeachtet vorausgegangener Verwarnung mit Feuer und Licht unvorsichtig umgeht;
mit einer abschreckenden Krankheit behaftet ist oder durch eigenes Verschulden arbeitsunfähig wird;
länger als vierzehn Tage gefänglich angehalten wird.
Um ein Betriebsratsmitglied rechtswirksam entlassen zu können, bedarf es der Zustimmung des Gerichtes. Einen besonderen Entlassungsschutz genießen auch die unter das Arbeitsplatzsicherungsgesetz und das Mutterschutzgesetz fallenden Dienstnehmer. Auch hier bedarf es der Zustimmung des Gerichtes, um rechtswirksam eine Entlassung aussprechen zu dürfen.
Von einem vorzeitigen Austritt spricht man, wenn die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer einseitig und mit sofortiger Wirkung herbeigeführt wird.
Der Arbeitnehmer kann gerechtfertigt vorzeitig austreten, wenn ein wichtiger Grund (Austrittsgrund) vorliegt.
Die Austrittsgründe sind für Angestellte im Angestelltengesetz, für Arbeiter in der Gewerbeordnung aufgezählt (z. B. wenn der Arbeitgeber das dem Arbeitnehmer zukommende Entgelt ungebührlich schmälert oder vorenthält; wenn der Arbeitgeber sich Tätlichkeiten, Verletzung der Sittlichkeit oder erhebliche Ehrverletzungen gegen den Arbeitnehmer oder dessen Angehörige zuschulden kommen lässt; wenn der Arbeitnehmer die Arbeit nicht ohne Schaden für seine Gesundheit fortsetzen kann).
Im Fall des gerechtfertigten vorzeitigen Austrittes stehen dem Dienstnehmer all diejenigen Ansprüche zu, die er bei ordnungsmäßiger Kündigung durch den Dienstgeber gehabt hätte (sohin aliquote Sonderzahlungen, Abfertigung „Alt“, Urlaubsersatzleistung und Kündigungsentschädigung für die Dauer der fiktiven Kündigungsfrist).
Ist der Dienstnehmer ohne wichtigen Grund (unberechtigt) vorzeitig ausgetreten, so kann der Dienstgeber den ihm dadurch verursachten Schaden beim Arbeitsgericht einklagen. Überdies ist damit der Verlust allfälliger Ansprüche auf Urlaubsersatzleistung und Abfertigung sowie (v. a. bei Arbeitern) der Anspruch auf aliquote Sonderzahlungen verbunden.
Während ein Dienstverhältnis durch den Tod des Dienstnehmers endet, wird es durch den Tod eines Dienstgebers in seinem Bestand grundsätzlich nicht berührt.
Stirbt ein Dienstnehmer, haben seine gesetzlichen Erben, zu deren Erhaltung er gesetzlich verpflichtet war, Anspruch auf die Hälfte jener Abfertigung, die ihm zugestanden wäre, wenn das Dienstverhältnis nicht durch seinen Tod geendet hätte. Den Erben gebührt auch eine allfällige Urlaubsersatzleistung.
Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer auf Verlangen unabhängig von der Beendigungsart gegenüber dem Arbeitgeber einen Rechtsanspruch auf ein einfaches Arbeits- bzw. Dienstzeugnis.
Das Arbeitszeugnis ist eine schriftliche Bestätigung des Arbeitgebers über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses.
Aufgrund des gesetzlich verankerten Erschwernisverbotes dürfen in Arbeitszeugnissen keine Eintragungen und Anmerkungen aufgenommen werden, die es dem Arbeitnehmer erschweren, eine neue Beschäftigung zu finden.
Bei länger dauernden Arbeitsverhältnissen werden in der Praxis oft qualifizierte Zeugnisse ausgestellt, die auch ein (positives) Werturteil des Arbeitgebers über die Leistungen und das Verhalten des Arbeitnehmers im Dienst enthalten.
Der Anspruch auf Ausstellung eines Arbeitszeugnisses verjährt erst 30 Jahre nach Beendigung des Dienstverhältnisses.
Literatur
Gagawczuk W./Krapf G. (2010): Arbeitsrechtliche Ansprüche von A–Z. 4. Auflage. Wien: LexisNexis.
Mazal W./Risak M. (2019): Das Arbeitsrecht, System- und Praxiskommentar. 33. Auflage. Wien: LexisNexis.
Rauch T. (2019): Arbeitsrecht für Arbeitgeber. 18. Auflage. Wien: Linde.
Schrank F. (2019): Arbeits- und Sozialversicherungsrecht. 83. Auflage. Wien: LexisNexis.
https://www.arbeitsinspektion.gv.at/inspektorat/
https://www.wko.at/service/arbeitsrecht-sozialrecht/start.html#uebersicht
Elisabeth Schmied
Das Arbeitszeitrecht (inklusive Arbeitsruherecht) ist neben dem Verwendungsschutz und dem technischen Arbeitnehmerschutz ein Teil des Arbeitnehmerschutzrechtes. Der Zweck der Arbeitszeitvorschriften besteht primär im Schutz der Arbeitnehmer vor einer übermäßigen, gesundheitsgefährdenden Inanspruchnahme durch den Arbeitgeber.
Die wichtigsten arbeitszeit- und arbeitsruherechtlichen Bestimmungen finden sich
im Arbeitszeitgesetz (AZG),
im Arbeitsruhegesetz (ARG),
im Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetz (KJBG),
in zahlreichen Sondergesetzen (Bäckereiarbeitergesetz, Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz, Mutterschutzgesetz) sowie
in Kollektivverträgen.
Das AZG gilt für die Beschäftigung von Arbeitnehmern, die das 18. Lebensjahr vollendet haben.
Ausgenommen vom Geltungsbereich sind beispielsweise:
alle Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis mit einer Gebietskörperschaft, Stiftung, einem Fond etc. stehen,
Arbeitnehmer im Sinne des Landarbeitergesetzes,
Arbeitnehmer, für die die Vorschriften des Bäckerarbeitergesetzes gelten,
Arbeitnehmer, die dem Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz unterliegen,
nahe Angehörige des Arbeitgebers (Eltern, volljährige Kinder, im gemeinsamen Haushalt lebende Ehegatten, eingetragenen Partner sowie Lebensgefährten),
leitende Angestellte oder sonstige Arbeitnehmer, denen maßgebliche selbstständige Entscheidungsbefugnis übertragen ist und deren gesamte Arbeitszeit aufgrund der besonderen Merkmale der Tätigkeit nicht gemessen oder im Voraus festgelegt wird oder von diesen Arbeitnehmern hinsichtlich Lage und Dauer selbst festgelegt werden kann,
Heimarbeiter im Sinne des Heimarbeitergesetzes,
Dienstnehmer, die unter das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz fallen.
Die gesetzliche tägliche Normalarbeitszeit beträgt 8 Stunden, die gesetzliche wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden.
Unter Tagesarbeitszeit versteht man die Arbeitszeit innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraumes von vierungszwanzig Stunden.
Für die Wochenarbeitszeit gilt die Arbeitszeit von jeweils Montag bis einschließlich Sonntag.
Kollektivverträge können eine verkürzte Normalarbeitszeit vorsehen. Jenes Ausmaß an Arbeitszeit, das zwischen der kollektivvertraglich verkürzten Normalarbeitszeit und der gesetzlichen Normalarbeitszeit liegt, nennt man Mehrarbeit. Sofern der Kollektivvertrag keine Sonderbestimmungen enthält, wird diese (kollektivvertragliche) Mehrarbeit zuschlagsfrei mit dem Normalstundenlohn abgegolten. Beachten Sie aber im Unterschied dazu die Regelungen zur zuschlagspflichtigen Teilzeit-Mehrarbeit.
Die Lage der Normalarbeitszeit (Beginn und Ende des täglichen bzw. wöchentlichen Arbeitseinsatzes) muss einzelvertraglich oder durch Betriebsvereinbarung festgelegt sein. Nur in gesetzlich ausdrücklich genannten Ausnahmesituationen kann der Arbeitgeber einseitig von der vereinbarten Verteilung abgehen.
Das AZG bietet allerdings auch Möglichkeiten flexibler Ausgestaltungen der Normalarbeitszeit. Dadurch werden meist längere Tages- bzw. Wochenarbeitszeiten erreicht, die innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens wieder ausgeglichen werden müssen. Durch flexible Arbeitszeitmodelle wird die Grenze der Normalarbeitszeit angehoben, womit (teure) Überstunden vermieden werden können.
Eine Möglichkeit ist die Vereinbarung eines Durchrechnungsmodelles. Der Kollektivvertrag kann zulassen, dass die Arbeitszeit innerhalb eines mehrwöchigen Zeitraumes so verteilt wird, dass sie im wöchentlichen Durchschnitt die Wochennormalarbeitszeit nicht überschreitet. Die Tagesnormalarbeitszeit darf in diesen Fällen bis auf neun bzw. zehn Stunden ausgedehnt werden.
Eine andere Möglichkeit, die Arbeitszeit flexibler zu gestalten, ist das Einarbeiten in Verbindung mit Feiertagen. Dabei sieht das Gesetz vor, dass Arbeitstage in Verbindung mit Feiertagen innerhalb eines Zeitraumes von 13 Wochen eingearbeitet werden können. An den Tagen, an denen eingearbeitet wird, darf die tägliche Normalarbeitszeit auf bis zu zehn Stunden ausgedehnt werden.
Schichtarbeit liegt vor, wenn ein Arbeitsplatz an einem Arbeitstag von mehreren einander abwechselnden Arbeitnehmern eingenommen wird bzw. wenn Arbeitsgruppen in bestimmten Betriebsabteilungen einander zeitlich nachfolgend ablösen.
Überlappungen dürfen lediglich in sehr geringem Ausmaß gegeben sein, um das Grundmerkmal der Schichtarbeit nicht auszuhebeln.
Bei Schichtarbeit muss ein Schichtplan erstellt werden. Die wöchentliche Normalarbeitszeit darf innerhalb des Schichtturnus nicht überschritten werden.
Schichtturnus bezeichnet dabei jenen Zeitraum, nach dessen Ablauf dieselbe Abfolge der Schichten wieder beginnt. Die Dauer des Schichtturnus ist im AZG nicht beschränkt.
Für die Schichtarbeit gelten Sonderregelungen zu Tagesarbeitszeit, Wochenarbeitszeit, durchschnittlicher Arbeitszeit, Ruhepausen sowie täglicher und wöchentlicher Ruhezeit.
Man unterscheidet folgende Formen der Schichtarbeit:
durchlaufend mehrschichtige Arbeitsweise – vollkontinuierliche Schichtarbeit: Die Schichtarbeit erfolgt an sieben Tagen pro Woche rund um die Uhr. Dies ist nur möglich, wenn eine Ausnahme von der Wochenendruhe besteht.
werktags durchlaufende mehrschichtige Arbeitsweise – teilkontinuierliche Schichtarbeit: Die Schichtarbeit erfolgt Montag bis Freitag oder Samstag rund um die Uhr. Sonntag ist arbeitsfrei.
sonstige mehrschichtige Arbeitsweise (nicht durchlaufend): z. B. 2-Schicht-Betrieb von Montag bis Freitag/Samstag
Bei der gleitenden Arbeitszeit ist die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit nicht einheitlich festgelegt, sondern schwankt um einen bestimmten Durchschnittswert.
Zur Einführung von Gleitzeit ist eine schriftliche Gleitzeitvereinbarung erforderlich (Einzelvereinbarung oder in Betrieben mit Betriebsrat durch Betriebsvereinbarung).
In der Gleitzeitvereinbarung ist zwingend festzulegen:
die Gleitzeitperiode (der Zeitraum, in dem die durchschnittlich geleistete Normalarbeitszeit 40 Stunden nicht überschreiten darf)
der Gleitzeitrahmen (der Rahmen, innerhalb dessen der Arbeitnehmer Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit selbst bestimmen kann)
die fiktive Normalarbeitszeit (die Normalarbeitszeit, die für Zeiten der Dienstverhinderung mit Entgeltfortzahlungsanspruch herangezogen wird)
die Möglichkeit der Übertragung von Zeitguthaben und Zeitdefiziten
In der Praxis ist darüber hinaus die Festlegung einer Kernarbeitszeit (Anwesenheitspflicht) üblich.
Es kann zwischen zwei Modellen gewählt werden:
Normalarbeitszeit bis 10 Stunden pro Tag und 50 Stunden pro Woche
Normalarbeitszeit bis 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche, wenn vereinbart wird, dass Zeitguthaben in ganzen Tagen verbraucht werden können und es weiters nicht ausgeschlossen ist, diese Gleittage in Verbindung mit einer wöchentlichen Ruhezeit zu konsumieren.
8.1.3Arbeitsbereitschaft und Rufbereitschaft
Arbeitsbereitschaft bedeutet, dass sich der Arbeitnehmer am Arbeitsort zum jederzeitigen Arbeitseinsatz bereithalten muss. Es ist nur die Anwesenheit, aber keine Arbeitsleistung gefordert. Die tägliche und wöchentliche Normalarbeitszeit darf daher – je nach Ausmaß der Arbeitsbereitschaft – durch Kollektivverträge ausgedehnt werden. Arbeitsbereitschaft gilt als Arbeitszeit.
Im Gegensatz dazu gilt Rufbereitschaft nicht als Arbeitszeit. Dabei darf sich der Arbeitnehmer an einem Ort seiner Wahl aufhalten, muss aber für den Arbeitgeber jederzeit erreichbar sein und kurzfristig für einen Arbeitseinsatz zur Verfügung stehen. Rufbereitschaft darf höchstens für 10 Tage pro Monat vereinbart werden.
Bei einer Überschreitung der täglichen und/oder wöchentlichen Normalarbeitszeit liegt Überstundenarbeit vor. Das AZG gibt die Höchstgrenzen der täglichen bzw. wöchentlichen Höchstarbeitszeit mit 10 Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche vor.
Zusätzlich ist zu beachten, dass innerhalb eines Durchrechnungszeitraumes von 17 Wochen die Arbeitszeit im Schnitt 48 Stunden pro Woche nicht überschreiten darf. Einzelne Kollektivverträge sehen die Möglichkeit vor, diesen Durchrechnungszeitraum zu verlängern.
Eine Verpflichtung zur Überstundenleistung des Arbeitnehmers besteht nur, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:
erhöhter Arbeitsbedarf bzw. Vor- und Abschlussarbeiten
die Leistung von Überstunden wurde im Arbeitsvertrag vereinbart
der Überstundenleistung stehen keine berücksichtigungswürdigen Interessen des Arbeitnehmers entgegen
Überstunden, die durch die AZG-Novelle möglich geworden sind (11. und 12. Stunde), können vom Arbeitnehmer grundlos abgelehnt werden (keine Interessenabwägung). Es darf wegen dieser grundlosen Ablehnung zu keiner Benachteiligung kommen (Motivkündigungsschutz).
Für Überstunden gebührt dem Arbeitnehmer zusätzlich zum Normallohn ein Überstundenzuschlag in Höhe von 50 %. Kollektivverträge sehen für Überstunden an Wochenenden oder Feiertagen häufig höhere Zuschläge vor. Anstatt des Zuschlages in Geld kann auch eine Vergütung durch Zeitausgleich vereinbart werden.
Bei Überstunden, die die Tagesarbeitszeit von 10 Stunden bzw. die Wochenarbeitszeit von 60 Stunden überschreiten, kann der Arbeitnehmer in jeder einzelnen Lohn- bzw. Abrechnungsperiode wählen, ob die Abgeltung für diese Stunden in Geld oder Zeit zu erfolgen hat. Dieses Wahlrecht hat der Arbeitnehmer möglichst frühzeitig, spätestens jedoch am Ende des jeweiligen Abrechnungszeitraumes auszuüben.
Der Arbeitgeber hat zur Überwachung der Einhaltung der im Arbeitszeitgesetz geregelten Angelegenheiten Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden samt Ruhepausen zu führen.
Das Gesetz sieht für Arbeitsaufzeichnungen keine bestimmte Form vor. Jedenfalls sollte der Arbeitnehmer regelmäßig die Vollständigkeit und Richtigkeit der Aufzeichnungen mit seiner Unterschrift bestätigen.
Die Aufzeichnungen sind dem Arbeitsinspektorat auf Verlangen auszuhändigen.
Teilzeitarbeit liegt vor, wenn die vereinbarte Wochenarbeitszeit im Durchschnitt die gesetzliche oder kürzere kollektivvertragliche Wochenarbeitszeit unterschreitet. Die genaue Lage der Arbeitszeit ist arbeitsvertraglich zu vereinbaren.
Leistet der Teilzeitbeschäftigte mehr Stunden als vereinbart, liegt zuschlagspflichtige Mehrarbeit vor. Der Mehrarbeitszuschlag beträgt 25 %. Es kann vereinbart werden, dass die geleistete Mehrarbeit in Zeit abgegolten wird. Erfolgt der Zeitausgleich innerhalb von drei Monaten, wird die Mehrarbeit im Verhältnis 1:1 ausgeglichen.
Eine zuschlagspflichtige Überstunde liegt bei Teilzeitbeschäftigten erst bei Überschreiten der täglichen oder wöchentlichen gesetzlichen Normalarbeitszeit vor.
8.1.7Sonderregelungen für Nachtarbeit
Für Arbeitnehmer, die regelmäßig während der Zeit zwischen 22:00 und 5:00 Uhr mindestens drei Stunden beschäftigt sind, gelten folgende Sonderregelungen:
zusätzliche Ausgleichsruhezeiten bei Überschreiten von acht Stunden Nachtarbeitszeit für Nachschwerarbeiter
Anspruch auf regelmäßige Untersuchungen
Details
- Seiten
- ISBN (ePUB)
- 9783991117704
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2023 (September)
- Schlagworte
- AAMP Österreichische Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention Arbeitsmedizin Ausbildung Prävention Gesundheit Arbeitnehmerschutz Österreich Berufsbild Evaluierung von Arbeitsplätzen Arbeitsumfeld Arbeitsmittel Arbeitsstoffe Psyche Betriebliche Gesundheitsförderung Wiedereingliederungsmanagement