Zusammenfassung
Die Diagnose ADHS ist immer eine Herausforderung. Doch die Aufmerksamkeitsstörung lässt sich auf mehreren Ebenen behandeln. Ein innovativer und nachweislich wirksamer Ansatz ist die Ernährungstherapie. Denn was und wie wir essen,
beeinflusst unser Befinden – aber auch umgekehrt.
Dieses Buch liefert das Rüstzeug, um auf die Herausforderung zu reagieren. Es informiert über Erkrankung und Therapiemöglichkeiten, zeigt, wie eine gezielte Ernährung bei ADHS unterstützen kann und wie sich die Empfehlungen ganz konkret im Alltag umsetzen lassen. Mit vielen Rezepten für die ganze Familie!
Ihr Plus
• Klare Ernährungsempfehlungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
• Ernährung bei Nebenwirkungen durch Medikamente
• Achtsamkeitstraining und positive Ernährung
• Über 100 alltagstaugliche Rezepte
• Gratis Einkaufslisten-App
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
GELEITWORT
Wie schön war es zu hören, als mir Martina Brunnmayr erstmals von ihrer Idee zu diesem Buch berichtete! Die Überlegung, ein (kinder- und jugend-) psychiatrisches Krankheitsbild aus dem Blickwinkel der ernährungsphysiologischen Einflüsse zu betrachten, entspricht einer modernen wissenschaftlichen Herangehensweise, die auch für die tagtägliche Praxis relevant ist.
Neue Forschungszweige sowohl der Ernährungsmedizin als auch der Psychiatrie lassen erkennen, dass unsere Nahrung wesentlichen Einfluss auf unser psychisches Befinden und sogar auf die Entstehung einzelner Krankheitsbilder haben kann.
Dr.in Tamara Diezinger
Unserer Ernährung können wir uns nicht entziehen, wir alle sind darauf angewiesen, müssen täglich aus einem überwältigenden Angebot an Nahrungsmitteln auswählen und vermeintlich gute Entscheidungen für uns (und gegebenenfalls unsere Kinder) treffen. Diese Wahl wird meist sehr intuitiv getroffen und ist von Emotionen überlagert.
Gerade Personen mit dem Krankheitsbild ADHS, dem sich Martina Brunnmayr in diesem Buch widmet, haben oft Schwierigkeiten, Entscheidungen nicht aus dem reinen Impuls oder einer Neugierde heraus zu treffen.
Wenn wir uns vor Augen führen, mit welcher Menge an ungesunden, zucker- und fetthaltigen sowie hochverarbeiteten Lebensmitteln wir es heute zu tun haben, die uns oft verführerisch in den Regalen und Schaufenstern angepriesen werden, so ist es nicht verwunderlich, wenn impulsive Entscheidungen dazu führen, dass mit dieser Nahrung ein Teufelskreis im Krankheitsverlauf angestoßen wird.
Es wäre daher sehr hilfreich, wenn wir in der Psychiatrie – unterstützt durch die fachkundige Begleitung von Diätolog:innen – neben der klassischen Kombination aus psychosozialer und medikamentöser Therapie bei ADHS die Ernährungsmodifikation als gleichwertiges Therapie-Tool zur Verfügung stellen könnten.
Noch steckt dieses Vorhaben in den Kinderschuhen und hat bei Weitem noch nicht in die alltägliche Praxis Einzug gehalten. Martina Brunnmayr setzt mit ihrem Buch und ihrer Initiative aber die ersten wichtigen Schritte in diese Richtung und gibt uns einen Impuls und den Mut mit, das Thema Ernährung nicht mehr als eine Privatangelegenheit zu betrachten, sondern mit ins Zentrum des ärztlichen und therapeutischen Handelns zu stellen.
Ihnen, liebe Leser:innen, wünsche ich eine interessante Zeit mit diesem Buch – auf zu neuen Ufern!
Dr.in Tamara Diezinger
Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie
VORWORT
Besonders bei psychischen Störungen und Krankheitsbildern, zu denen auch die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gehört, gewinnt die Ernährungstherapie im Rahmen der multiprofessionellen Therapie zunehmend an Bedeutung. Durch die ergänzende Ernährungstherapie kann das Potenzial der Ernährung ausgeschöpft und somit die Wirkung der Therapie unterstützt und der Krankheitsverlauf verbessert werden. Dadurch wird die Lebensqualität der Betroffenen enorm gesteigert. Zusätzlich können mögliche Nebenwirkungen von Medikamenten abgemildert werden.
Dieses Buch basiert auf einer Kombination aus wissenschaftlicher Recherche und Erfahrung aus der ernährungstherapeutischen Praxis. Im Fokus stehen die Ernährungsempfehlungen bei ADHS. Zusätzliche Einflussfaktoren und Erkrankungsbilder, die im Rahmen der Ernährungstherapie berücksichtigt werden müssen, wie Stoffwechselerkrankungen oder Allergien, werden nicht einbezogen.
Ziel dieses Buches ist es, einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten der Ernährungstherapie bei ADHS zu geben und den Betroffenen zu ermöglichen, die Therapieoption im Rahmen der individuellen Ernährung auszuschöpfen. Für die Umsetzung wird ausdrücklich eine fachliche Betreuung empfohlen.
Besonders hervorzuheben ist, dass es im Rahmen einer gesunden Ernährung keine Verbote gibt, daher wird in diesem Buch der positive Blick auf die Ernährung betont.
Abschließend möchte ich mich für die Möglichkeit, dieses Buch zu verfassen, bedanken und ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen und alles Gute für Ihre Ernährungsumstellung.
Nahrung ist die erste Medizin!
Martina Brunnmayr
ADHS IM KINDES-, JUGEND- UND ERWACHSENENALTER
mit Tamara Diezinger
Die ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung) zählt zu den häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter und ist gekennzeichnet durch drei Kernsymptome: Aufmerksamkeitsstörung, Impulsivität und Hyperaktivität. Nicht immer sind alle drei Komponenten gleich stark ausgeprägt, die Hyperaktivität kann auch ganz fehlen – dann spricht man von ADS (Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom). Im Sinne des leichteren Verständnisses wird im Buch von ADHS gesprochen.
Die Häufigkeit der ADHS ist altersabhängig und variiert mit den verwendeten diagnostischen Kriterien. International gesehen ist jedes 20. Kind von ADHS betroffen. Wie bei vielen psychischen Störungen gibt es keine Unterschiede zwischen den sozialen Schichten. Auch bei Erwachsenen ist ADHS ein Thema, wobei die Häufigkeit im Vergleich zum Kindes- und Jugendalter nur mehr die Hälfte beträgt – d. h., jede:r 40. Erwachsene zeigt Symptome einer ADHS. Die Symptome nehmen vom Kindes- und Jugendalter bis ins Erwachsenalter ab bzw. ändert sich ihre Ausprägung.
Meistens treten die Symptome in den ersten fünf Lebensjahren erstmals auf und werden spätestens im Schulalter erkannt und diagnostiziert. Häufig zeigt sich bei den Betroffenen ein Mangel an Ausdauer bei Beschäftigungen, welche eine gedankliche Leistung und längeres Fokussieren verlangen. Oft wird von einer Tätigkeit zur nächsten gewechselt, ohne etwas zu Ende zu bringen.
Es ist jedoch schwer, die ADHS auf einzelne Symptome herunterzubrechen, da es sich um ein komplexes Störungsbild handelt. Es steht nicht nur das Verhalten und das Symptom (z. B. Hyperaktivität) im Mittelpunkt, sondern auch gedankliche Leistungen und Funktionen, die vom Gehirn ausgehen, wie z. B. die Selbstregulation. Auch die Interaktion mit dem Umfeld spielt eine Rolle, d. h., wie die Betroffenen mit ihren Mitmenschen zurechtkommen. Hier kommt es öfters zu Konflikten, Wutausbrüchen etc.
Die Symptome können situationsspezifisch auftreten. Die Erkrankung ADHS ist chronisch (immer wiederkehrend, andauernd) und kann Betroffene im Alltag einschränken.
ADHS bei Kindern und Jugendlichen
Ein gewisser Grad an Unaufmerksamkeit, Impulsivität und übermäßiger Aktivität ist bei Kindern und Jugendlichen nichts Ungewöhnliches. Der Verdacht auf ADHS ist dann gegeben, wenn das Ausmaß sich deutlich vom Verhalten Gleichaltriger unterscheidet. Wichtig ist hier zu erwähnen, dass jedes Kind anders ist und ein Vergleich immer vorsichtig stattfinden sollte.
Meist wird die Diagnose im Schulalter gestellt, da es im Unterricht besonders auffällt, wenn ein Kind unaufmerksam ist, sich leicht ablenken lässt, unruhig ist oder sich ständig vordrängt.
Bei Kindern, die sehr unaufmerksam sind, aber nicht hyperaktiv, spricht man vom Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS).
Meist werden die Symptome bis ins Erwachsenenalter deutlich schwächer bzw. verschwinden sogar. Die Hyperaktivität geht meist in eine innere Unruhe und Rastlosigkeit über.
Bei Erwachsenen ist die ADHS meist weniger auffallend als bei Kindern und Jugendlichen. Es treten Probleme in der Alltagsbewältigung auf, v. a. was die Konzentration und Organisation im Alltag und in der Arbeit betrifft. Des Weiteren gehört zu den Symptomen auch die Impulsivität. Diese kann sich in schneller Reizbarkeit bis hin zu impulshaften Handlungen äußern (voreilige Beziehungsbeendigung, Kündigung des Jobs, ohne Ersatz zu haben, Schwierigkeiten im Straßenverkehr durch rücksichtsloses Fahren …).
Entscheidend ist im Erwachsenenalter vor allem, ob durch die Erkrankung psychische Probleme entstehen und ob die Lebensqualität beeinflusst ist oder nicht. Wichtig ist eine sorgfältige Diagnosestellung, um einer unnötigen oder falschen Behandlung vorzubeugen.
Tabelle 1: Grundsymptome der ADHS
Kinder und Jugendliche | Erwachsene |
• Unaufmerksamkeit und Konzentrationsstörungen •Impulsivität •Übermäßige (körperliche) Aktivität •Risikoverhaltensweisen • Bei ADS: Verträumtheit |
• Probleme, den Alltag oder die Arbeit zu organisieren und Termine einzuhalten • Schwierigkeiten, sich länger auf etwas zu konzentrieren und auf Arbeitsaufträge zu fokussieren • Impulsivität • Risikoverhaltensweisen |
•Deutlich stärkere Ausprägung im Vergleich zu Gleichaltrigen |
•Beginnt meist in der Kindheit, die Symptome nehmen im Erwachsenenalter ab •Entscheidend ist, ob die Lebensqualität beeinträchtigt ist |
Treten die Symptome (Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsdefizit und Impulsivität) und die daraus folgenden Beeinträchtigungen in mehreren Lebensbereichen auf, so besteht der Verdacht einer ADHS. Eine Diagnostik sollte bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Entwicklungs-, Lern-/Leistungsoder Verhaltensproblemen oder anderen psychischen Störungen durchgeführt werden, außerdem bei Hinweisen auf Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit bzw. Konzentration, erhöhte Unruhe oder Impulsivität.
Des Weiteren sind Krankheitsbilder auszuschließen, die eine ähnliche Symptomatik hervorrufen.
Vom Verdacht zur Diagnose bei Kindern
Meist kommt es mit Beginn des Kindergartenalters oder spätestens mit der Einschulung zu sehr fremdbestimmten Situationen für Kinder. Fremdbestimmt heißt, dass das Kind nicht selbst entscheiden kann, was es tut, sondern sich an Regeln, wie z. B. in der Schule, halten muss. Durch Vorgaben und fremdbestimmte Situationen im Kindergarten- und Schulalltag werden die Symptome bzw. wird die Symptomausprägung erstmalig offensichtlich.
Der Hinweis auf das Verhalten des Kindes kommt meist von den betreuenden Pädagog:innen. Manchmal haben auch die Eltern selbst den Verdacht einer ADHS bzw. der/die Fachärzt:in für Kinder- und Jugendheilkunde äußert diesen.
Wenn dieser Verdacht besteht, wird dieser vom/von der Fachärzt:in für Kinder- und Jugendpsychiatrie bestätigt und es erfolgt eine ärztliche Überweisung zu einem/einer klinischen Psycholog:in. Diese:r führt psychologische Tests durch und stellt einen Testbefund aus, welcher anschließend mit dem/der Fachärzt:in für Kinder- und Jugendpsychiatrie besprochen wird. Diese:r stellt die Diagnose und dann erfolgt eine individuelle und adäquate Planung der Therapie.
Diagnosekriterien:
⇢Kann sich das Kind schlecht konzentrieren und lässt es sich leicht ablenken?
⇢Ist das Kind oft vergesslich?
⇢Hat das Kind oft Wutausbrüche oder unterbricht und stört es andere?
⇢Ist das Verhalten in der Schule so wie zu Hause und umgekehrt?
⇢Leiden die schulischen Leistungen unter den Symptomen?
⇢Findet das Kind aufgrund seines Verhaltens nur schwer Freund:innen und ist darüber unglücklich?
Diese Fragen sind nur eine Richtungsweisung. Für die Diagnose werden psychologische Tests und Fragestellungen eingesetzt. Zusätzlich findet ein Gespräch mit Eltern, Kind und Lehrer:innen bzw. Erzieher:innen statt, um das Verhalten des Kindes zu erfassen.
Vom Verdacht zur Diagnose bei Erwachsenen
Bei Erwachsenen erfolgt die Diagnosestellung über den/die Fachärzt:in für Psychiatrie und Psychotherapie. Wichtig ist immer eine differenzialdiagnostische Abgrenzung gegenüber anderen psychischen und körperlichen Erkrankungen, wie z. B. Persönlichkeitsoder bipolare Störung, aber auch Schlafstörungen, Sehfehler, Schwerhörigkeit oder Schilddrüsenüberfunktion.
Differenzialdiagnose: Gegenüberstellung von mehreren Krankheitsbildern mit ähnlichen Symptomen zur Krankheitsbestimmung.
Es gibt jedoch auch Erkrankungen, welche die Folge einer ADHS sein können, wie z. B. Depression, soziale Verhaltensstörungen oder Alkohol- und Drogenabhängigkeit.
Diagnosekriterien:
⇢Haben die Auffälligkeiten in der Kindheit begonnen?
⇢Sind mindestens sechs Anzeichen von Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität oder Impulsivität vorhanden?
⇢Bestehen in mehr als einem Lebensbereich Probleme (z. B. Beruf, soziales Umfeld, eigener Körper und Gesundheit)?
Auch hier sind die Fragen nur eine Richtungsweisung. Für die Diagnose werden psychologische Tests und Fragestellungen eingesetzt.
Es gibt immer wieder Betroffene, die in der Kindheit keine Diagnose erhalten haben. Dies sollte in der Diagnosestellung vom/von der Ärzt:in berücksichtigt werden.
Schweregrade der ADHS
Je nach Ausprägung der Symptome lässt sich die ADHS in folgende Schweregrade einteilen:
⇢Leichtgradige ADHS
⇢Wenige oder keine zusätzlichen Symptome neben den Grundsymptomen (Unaufmerksamkeit, Impulsivität, übermäßige Aktivität)
⇢Geringe Beeinträchtigung in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen
⇢Mittelgradige ADHS
⇢Mittlere Symptomausprägung
⇢Deutliche funktionelle Beeinträchtigung in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen
⇢Schwere ADHS
⇢Mehrere Symptome in starker Ausprägung
⇢Besonders stark ausgeprägte Symptome, die die sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereiche erheblich beeinträchtigen
Ziel der Therapie ist es, die Störung zu lindern und das Leiden der Betroffenen zu verringern sowie den Umgang mit den Lebenssituationen, das selbstständige Handeln in diesem Zusammenhang und im Alltag (z. B. Selbstversorgung, Beruf, Familie, soziale Integration) zu verbessern.
Neben der medikamentösen Therapie spielen auch die Psychotherapie und die Soziotherapie (auch Sozialtherapie oder soziale Arbeit) eine wesentliche Rolle.
Letztere bedeutet die Unterstützung der Betroffenen im Alltag durch Therapeut:innen. Sie erfassen die häusliche, schulische/berufliche und soziale Situation der Betroffenen und bieten eine ambulante Betreuung, in deren Rahmen sie den Betroffenen dabei helfen, die Herausforderungen im Alltag zu meistern.
Einschränkungen der bisherigen klassischen Therapie sind gegeben, wenn Fachleute und nötige Ressourcen für eine angemessene Behandlung nur begrenzt vorhanden sind. Auch die Compliance (Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit bei der Therapie) der Patient:innen ist Voraussetzung.
Neben der klassischen medizinischen und therapeutischen Behandlung rücken die Aufklärung über die Erkrankung, die unterstützenden Therapien und Lebensstilfaktoren wie Ernährung und Bewegung immer mehr in den Vordergrund. Die Ernährungstherapie wird in diesem Buch schwerpunktmäßig behandelt.
Welche Therapie ist für mich/mein Kind die beste?
Gemeinsam mit dem/der betreuenden Ärzt:in wird ein persönlich abgestimmter Behandlungsplan erstellt. Dieser soll ein multimodales therapeutisches Gesamtkonzept enthalten und auf die individuellen Bedürfnisse der betroffenen Person eingehen. Der Behandlungsplan kann verschiedene Bereiche umfassen (siehe Abbildung).
Bei Kindern unter sechs Jahren und bei leichter Symptomatik werden Psycho- und Soziotherapie der medikamentösen Therapie vorgezogen. Generell sollten alle anderen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft werden, bevor mit einer medikamentösen Therapie begonnen wird. Zudem werden für Kinder unter drei Jahren bei ADHS-Symptomatik keine Medikamente empfohlen.
Bei mittelgradiger ADHS wird je nach Behandlungsplan entweder eine intensivierte psychosoziale Therapie (Psyche und Sozialleben betreffend) oder eine medikamentöse Behandlung empfohlen, idealerweise sogar eine Kombination.
Bei einer schweren Ausprägung der ADHS wird die Kombination von intensivierter psychosozialer Behandlung und medikamentöser Behandlung empfohlen.
Die Aufklärung (Psychoedukation) und Beratung der Betroffenen und Angehörigen ist unabdinglich. Individuelle Stärken und Ressourcen sollten immer berücksichtigt werden.
Medikamentöse Behandlung
Eine Behandlung mit Medikamenten sollte nur von einem/einer qualifizierten Fachärzt:in für (Kinder- und Jugend-)Psychiatrie begonnen und betreut werden. Entschieden wird immer individuell unter Berücksichtigung der Symptome und der erwarteten Wirksamkeit des Medikamentes. Wichtig ist auch, dass jede Dosisänderung mit dem/der Ärzt:in abgesprochen wird, Selbstexperimente sollten keinesfalls durchgeführt werden.
Eine ADHS lässt sich durch eine medikamentöse Behandlung nicht heilen, aber bei 80 % der Betroffenen führt sie zu einem signifikanten Rückgang der Symptome. Meist wird eine Kombination mit der psychosozialen Therapie empfohlen.
Zu den bekanntesten Vertretern der Medikamente gehören Präparate mit dem Wirkstoff Methylphenidat, wie z. B. Ritalin, Medikinet und Concerta. Methylphenidat stellt als Goldstandard meist den Beginn der medikamentösen Therapie dar.
Ein weiterer bekannter Vertreter ist der Wirkstoff Atomoxetin, der z. B. im Präparat Strattera enthalten ist. Das ist ein lang wirksames ADHS-Medikament, jedoch mit dem Nachteil, dass die Wirkung sehr träge ist und es Wochen dauert, bis es wirkt. Auch die Auswirkung von Dosisänderungen ist erst spät sichtbar. Daher wird das Medikament meist kombiniert mit einem anderen Wirkstoff verwendet.
Ein neues Präparat ist Elvanse mit dem Wirkstoff Lisdexamphetamin, der oft eine bessere Verträglichkeit als Methylphenidat zeigt.
Mögliche Wechselwirkungen der Medikamente mit der Ernährung werden im Kapitel Ernährungstherapie beschrieben (ab S. 23).
Psychotherapie und Soziotherapie
Die Psychotherapie und die Soziotherapie stehen in einem engen Verhältnis zueinander, obwohl sie doch auch klar voneinander zu trennen sind.
Die Psychotherapie setzt sich mit der Behandlung psychischer und seelischer Störungen auseinander und wendet bestimmte Methoden, Verfahren und Konzepte an, um das Leiden zu lindern. Ziel ist es, Körper und Seele wieder in Einklang zu bringen. Die Psychotherapie gehört zu den anerkannten Heilverfahren.
Die Soziotherapie oder auch Sozialtherapie ist eine ambulante Betreuung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und stellt eine Unterstützung im Alltag dar, z. B. im Wohnumfeld, in der Schule oder in der Arbeit.
Unter psychosozialer Intervention versteht man eine gezielte und geplante psychotherapeutische und soziale Intervention zur Behandlung von ADHS oder anderen psychischen Störungen. Neben den Betroffenen können diese Therapien auch die Bezugspersonen (z. B. Eltern, Lehrer:innen, Partner:innen) und das Umfeld (Familie, Kindertagesstätte, Schule, Arbeitsplatz, Gemeinde etc.) miteinbeziehen. Psychosoziale Interventionen können von verschiedenen Berufsgruppen durchgeführt werden, wenn diese eine entsprechende Qualifikation besitzen.
Im Rahmen der psychosozialen (Intervention im alltäglichen System) und psychotherapeutischen (psychologische Verfahren zur Linderung von Störungen im psychischen Bereich) Therapie gibt es viele therapeutische Ansätze (z. B. Verhaltenstherapie, Neurofeedback). Welche Therapie für Sie am besten geeignet ist, sollten Sie mit Ihrem/Ihrer Ärzt:in besprechen.
Besonders betont werden sollen in diesem Zusammenhang die achtsamkeitsbasierten Interventionen. Diese sollen die Aufmerksamkeit und die Stressregulation bei den Betroffenen verbessern. Der Vorteil der Achtsamkeitsübungen ist, dass sie meist ohne großen Aufwand (Zeit, Materialien) umgesetzt werden können.
Durch Achtsamkeit wird das vegetative Nervensystem aktiviert, also das Entspannungsnervensystem. Dadurch kommt es zu einem besseren Umgang mit Stresssituationen und somit auch zu einer besseren Balance im Alltag. Auf diese Weise kann die Gesundheit unterstützt werden.
Achtsamkeit: eine bewusste und urteilsfreie Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf innere und äußere Erfahrungen im gegenwärtigen Moment. Dieser Methode wird ein gesundheitsförderndes Potenzial zugeschrieben.
Ein Beispiel für eine Achtsamkeitsübung ist der „Bodyscan“. Dabei wird die Aufmerksamkeit langsam und systematisch nacheinander auf alle Körperregionen gelenkt, oder man konzentriert sich nur auf die Atmung oder auf das Gehen. Eine weitere Übung ist das Beschreiben dessen, was man sieht, ohne es zu interpretieren.
Zu Beginn ist es ratsam, mit einem:r Therapeut:in eine geeignete Übung für sich selbst oder sein Kind zu erarbeiten, diese zu besprechen und zu üben. Anschließend soll sie schrittweise in den Alltag integriert werden.
Hinweis: Achtsamkeit braucht Übung, also setzen Sie sich nicht unter Druck, wenn etwas nicht sofort funktioniert!
Hier drei Beispiele für Achtsamkeitsübungen für Kinder, gemeinsam mit den Eltern/ einem Elternteil:
1 Achtsames Steinsammeln mit allen Sinnen
⇢Beim Spaziergang Steine sammeln
⇢Zu Hause einen gemütlichen Platz suchen und Stein für Stein mit allen Sinnen untersuchen
⇢Welche Farbe hat der Stein? Wie sieht seine Oberfläche aus? Wie fühlt sich der Stein an? Wie riecht er? Welche Geräusche macht er bzw. kann man mit ihm machen? Eine Geschichte zum Stein ausdenken – Fantasiereise (Woher kommt der Stein? Was hat er bereits erlebt?).
Tipp: Diese Übung ist eine tolle Einstiegsübung für Groß und Klein.
2 Alltägliche Dinge wahrnehmen, z. B.:
⇢Beim Zähneputzen: Wie fühlt sich die Zahnbürste im Mund an? Welche Geräusche macht sie? Ist die Zahnpasta kalt oder warm?
⇢Beim Essen: Was ist auf dem Teller/Tisch zu sehen (ohne Bewertung: rote Konfitüre/Marmelade, eine Scheibe Toast, ein bunter Teller …)? Wie fühlt sich das Essen im Mund an? Ist das Getränk im Mund kalt oder warm? Was schmecke ich? Wie fühle ich mich danach (satt, hungrig …)?
⇢Auf dem Schulweg: Wie fühlt sich der Weg unter meinen Füßen an? Was machen die Arme beim Gehen? Was fällt mir in der Umgebung auf (gelbes Haus, Baum, Hund …)?
3 Morgen-Meditation
(im Liegen im Bett vor dem Aufstehen)
⇢Einige Male bewusst tief ein- und ausatmen
⇢Augen schließen und sich auf den Körper und die Stimmung konzentrieren. Einmal durch den Körper scannen, von Kopf bis Fuß wahrnehmen, wie sich der Körper anfühlt und welche Gedanken einem in den Sinn kommen, z. B.: Wie fühlt sich der Kopf an? Wie die Augen, der Mund, der Hals, die Brust?
⇢Der Fokus liegt auf der Wahrnehmung. Es geht darum, zu trainieren, nicht bei einem Gedanken oder Gefühl hängen zu bleiben, sondern Unangenehmes ziehen zu lassen.
Diese Übung braucht etwas Training, aber das Durchhalten wird belohnt. Die Übung beruhigt in angespannten Situationen und macht den Kopf frei.
Tipp: Es gibt auch Meditationen (auch für Kinder), die man sich anhören kann. Eine Auswahl an Übungen findet sich auf YouTube, zur Vertiefung bieten sich CDs oder etwa Achtsamkeitskarten an.
Psychoedukation
Eine weitere wichtige Komponente in der Behandlung der ADHS ist die Psychoedukation.
Mit Psychoedukation ist die Aufklärung über das Krankheitsbild gemeint. Betroffene sollen ein Verständnis für die Zusammenhänge entwickeln.
Das Wissen über das Krankheitsbild bildet die Grundlage für die Entscheidungen über die Behandlungsoptionen.
Sowohl Betroffenen als auch deren Angehörigen wird eine Aufklärung über das Krankheitsbild angeboten. Durch ein besseres Verständnis der körperlichen und psychischen Symptome kann ein besserer Umgang und auch ein wohlwollenderes Umfeld für die Betroffenen geschaffen werden. Die Psychoedukation kann in allen Bereichen der ADHS-Therapie stattfinden.
Ernährungstherapie und Bewegungstherapie
Die Ernährung nimmt bei ADHS eine zunehmend wichtige Rolle ein. Im folgenden Kapitel werden die Möglichkeiten der Ernährungstherapie und der diätetischen Intervention näher beschrieben.
Neben der Ernährung wird auch regelmäßige Bewegung bzw. sportliche Betätigung empfohlen, vor allem wenn Hyperaktivität eines der Symptome ist. Durch gezielt eingeplante Bewegung kann der natürliche Bewegungsdrang ausgelebt werden – die Betroffenen haben die Möglichkeit, sich auszupowern. Bauen Sie regelmäßige Bewegung in den Alltag ein, wie z. B. Spaziergänge, oder besuchen Sie mit Ihrem Kind regelmäßig einen Turnverein. Empfehlungen, die auf Ihren Alltag abgestimmt sind, können Trainingstherapeut:innen geben.
ERNÄHRUNGSTHERAPIE
Wie bereits erwähnt, rückt die Ernährungstherapie bei ADHS immer mehr in den Vordergrund. Bisher wurde diese als unterstützende Therapie oft unterschätzt. Unumstritten ist, dass die medizinische Behandlung sowie die Psycho- und Soziotherapie die Hauptsäulen der Therapie bleiben. Jedoch kann die Ernährung den Therapieverlauf positiv unterstützen.
Die Ernährungsempfehlungen können in drei unterschiedliche Herangehensweisen zusammengefasst werden:
⇢Ausgewogene Ernährung und gegebenenfalls gezielte Nahrungsergänzung
⇢Ausschluss von Lebensmitteln oder einzelnen Lebensmittelbestandteilen, die die Symptomatik begünstigen
⇢Testung auf individuelle Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Weglassen der jeweils symptomverstärkenden Lebensmittelbestandteile
Die einzelnen Punkte werden in diesem Buch genauer beschrieben.
Ausgewogene Ernährung als Basis
Eine ausgewogene und vollwertige Ernährung stellt eine wichtige Unterstützung bei der Behandlung von ADHS dar. Mittlerweile weiß man, dass eine Ernährung mit einem hohen Anteil an raffiniertem Zucker (Zucker, Weißmehlprodukte) und gesättigten Fettsäuren (tierische Fette, Fertigprodukte) das Risiko für ADHS erhöhen kann. Eine Ernährung mit viel Gemüse und moderatem Obstkonsum kann es hingegen senken.
Unter einer ausgewogenen Kost wird verstanden, dass die Ernährung abwechslungsreich und vielseitig ist und dass der Mahlzeitenteller optimal zusammengestellt ist. Eine Mahlzeit soll aus drei Komponenten bestehen: Sättigungsbeilage, Eiweißkomponente und Gemüse und/oder Salat. Natürlich darf auch ein Dessert gegessen werden; im Idealfall gibt es die Naschereien direkt nach dem Essen, um den Blutzuckerspiegel nicht zu stark zu erhöhen. Mehr dazu lesen Sie im Kapitel „Berücksichtigung von Zucker und seiner Wirkung – glykämischer Index“, S. 32.
Sättigungsbeilage
Die Sättigungsbeilage ist, wie der Name schon sagt, zur Sättigung da und liefert unserem Körper die notwendige Energie. Kohlenhydrate dienen als Brennstoffe und zur Energiegewinnung und -speicherung. Sie sind Bestandteil für Zellmembranen und stellen auch das Grundgerüst für unser Erbmaterial (DNA) dar.
Auch wenn sie immer wieder in Verruf geraten, braucht man sich diesbezüglich nicht zu sorgen – im Gegenteil: Kohlenhydrate sind notwendig.
Sättigungsbeilagen können zum Beispiel sein: Kartoffeln, Nudeln, Reis, Brot und Gebäck, Hirse, Quinoa.
Eiweißkomponente
Eiweiß ist ein wichtiger Baustein für unsere Zellen und Muskeln und hat auch eine wichtige Rolle im Immunsystem sowie eine Transportfunktion von Nährstoffen im Plasma.
Die Eiweißkomponente auf dem Teller könnte zum Beispiel sein: Fleisch, Fisch, Ei, Milch und Milchprodukte (z. B. Joghurt, Quark/Topfen, Käse), Hülsenfrüchte (Linsen, Bohnen & Co), Soja und Sojaprodukte (z. B. Tofu, Sojageschnetzeltes).
Gemüse und/oder Salat
Obwohl die Eiweißkomponente und die Sättigungsbeilage auch Vitamine und Mineralstoffe liefern, sorgt hauptsächlich der Gemüseanteil für die Deckung des täglichen Vitamin- und Mineralstoffbedarfs. Zusätzlich liefert Gemüse Ballaststoffe, welche sich positiv auf den Blutzucker auswirken (sie lassen ihn verzögert ansteigen) und die Darmgesundheit unterstützen.
Zusätzlich werden pro Tag zwei Portionen Obst (1 Portion = 1 Handvoll) empfohlen, um das Abwehrsystem mit zusätzlichen Vitaminen zu unterstützen.
Im Folgenden zusammengefasst die Empfehlungen für die verschiedenen Altersgruppen.
Getränkezufuhr: 1–1,2 l täglich
•idealerweise Wasser und Tee
•Koffein ist für Kinder tabu (Kaffee, Grüntee, Schwarztee, Eistee, Colagetränke, Energydrinks)
Gemüse und Obst: 5 Portionen täglich
(1 Portion = 1 Hand des Kindes voll)
•3 Portionen Gemüse
•2 Portionen Obst
•Abwechslung macht Spaß! Je bunter die Auswahl, desto besser.
•Achten Sie auf regionale und saisonale Auswahl – bei reifer Ernte und kürzeren Transportwegen ist der Vitamingehalt höher.
Getreide und Kartoffeln: 5 Portionen täglich
(1 Portion = 1 Hand des Kindes voll)
•Achten Sie auf eine fett- und salzarme sowie nährstoffschonende Zubereitung.
•Bevorzugen Sie Vollkorn.
•Pommes frites oder Kroketten sollten die Ausnahme sein.
Milch und Milchprodukte: 3 Portionen täglich
•2 Portionen „weiße“ Milchprodukte (à 125 ml): z. B. Milch, Joghurt, Quark/Topfen
•1 Portion „gelbes“ Milchprodukt: 1–1,5 Scheiben Käse
•Sie können normalfette Milchprodukte verwenden.
Fisch, Fleisch, Wurst und Eier: mehrmals wöchentlich
•2 Portionen Fisch (je 60–70 g) pro Woche
•3 Portionen Fleisch inkl. Schinken
(je 60–70 g Fleisch bzw. 5–7 Scheiben Schinken) pro Woche
Details
- Seiten
- 128
- ISBN (ePUB)
- 9783991116141
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2022 (August)
- Schlagworte
- Positive Ernährung Azo-Farbstoffe ADHS Nebenwirkungen behandeln Kochrezepte Ernährungsempfehlungen für Kinder Jugendliche und Erwachsene Achtsamkeitstraining Konzentrationsschwierigkeiten Aufmerksamkeitsdefizit Ernährungstherapie Oligoantigene Diät Diagnosekriterien Brunnmayr